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010 - Skandal in Waverly Hall

010 - Skandal in Waverly Hall

Titel: 010 - Skandal in Waverly Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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umzudrehen, antwortete er leise: „Ich habe keine andere Wahl."
    „Ist es eine Frage des Stolzes?"
    „Ja", gab er zu und sah Anne mit seinen topasfarbenen Augen über die Schulter an.
    „Etwas anderes ist mir nämlich nicht geblieben."
    Anne durfte kein Risiko eingehen. Sie ließ den Kutscher mit dem geschlossenen Zweisitzer in der Oxford Street warten, als wollte sie zu ihrer Putzmacherin. In Wirklichkeit schlüpfte sie durch die Hintertür wieder hinaus und ließ Belle im Laden zurück, um keinen Verdacht zu erregen. Rasch winkte sie eine Mietdroschke herbei und war zehn Minuten später im Hyde Park.
    Dort klopfte sie an die Trennscheibe. „Halten Sie an, Kutscher."
    Die Droschke blieb sofort stehen. Anne öffnete den Wagenschlag und beugte sich hinaus.
    Der Himmel über ihr war klar. Es war ein wunderschöner Tag. Sie beobachtete zwei modisch gekleidete Frauen, die im Damensattel an der Kutsche vorbeiritten und sich lebhaft unterhielten. Ihre beiden Pferdeknechte folgten ihnen. Sie hörte das Rumpeln einer Chaise, die sich langsam näherte, den fröhlichen Ruf eines blauen Eichelhähers irgendwo über ihrem Kopf und das Lachen von Kindern nicht weit entfernt.
    Sie trug einen schwarzen Hut mit einem undurchsichtigen Schleier. Niemand sollte ihr Gesicht sehen und sie erkennen. Vorsichtig spähte sie den Weg hinab und weiter in den Park. Zwei Reiter näherten sich im raschen Trab. Sie atmete erleichtert auf und winkte heftig.
    Patrick hielt wie ausgemacht an. Er glitt aus dem Sattel und reichte seinem Pferdeknecht die Zügel. Anschließend eilte er zu Annes Kutsche und stieg sofort ein.
    Sie schlug die Tür hinter ihm zu.
    Patrick setzte sich ihr gegenüber. „Was ist los?" fragte er besorgt. Seine Miene war sehr ernst.
    Anne atmete ein paarmal durch, und ihre Nervosität ließ allmählich nach. Sie zog die Nadeln aus dem Hut, nahm die schwarzen Schleier ab und legte sie neben sich auf den Sitz. Dann sah sie den Vetter mit ihren blauen Augen an.
    „Was ist passiert?" erkundigte er sich erneut und faßte ihre Hand. Sie hatte die Handschuhe nicht ausgezogen.
    „Ich habe Angst, Patrick", antwortete Anne unsicher. „Ich habe furchtbare Angst."
    Er zog sie zu sich hinüber und hielt sie fest.
    Anne ließ sich von ihm umarmen und drückte die Wange an seine rote Seidenkrawatte. Zärtlich strich er mit der Hand über ihr Haar, und sie schloß die Augen.
    Doch Patricks Umarmung war nicht so tröstlich, wie Anne gehofft hatte. Statt dessen bekam sie ein schlechtes Gewissen, daß sie ihm solche Vertraulichkeiten gestattete.
    Sie fühlte sie plötzlich unbehaglich, weil mit ihm allein war.
    Patrick legte die Hand unter ihr Kinn und hob es an.
    „Ich möchte dir helfen, Anne", flüsterte er.
    Erschrocken bemerkte sie das Funkeln in seinen Aiigen und ahnte, daß er sie jeden Moment küssen würde. Deswegen war sie nicht in den Park gekommen. Sie wollte sich losmachen und etwas einwenden, doch er hielt sie unbarmherzig fest und erstickte ihren Protest.
    Es war kein züchtiger Kuß. Verzehrend preßte Patrick die Lippen auf ihren Mund und zwang sie, ihm Einlaß zu gewähren. Anne war entsetzt, als seine Zunge ihre berührte.
    Dominick hatte sie auf dieselbe Weise geküßt, sogar noch leidenschaftlicher und öfter, als sie zählen konnte. Bei ihm hatte sie es ausgesprochen lustvoll gefunden.
    Seine Küsse hatten ihren Körper und ihre Sinne aufs höchste erregt. Bei Patrick hatte sie dieses Gefühl nicht. Sie fand seinen Kuß sogar ziemlich abstoßend. Sie mochte den jungen Mann, aber wie einen Bruder.
    Endlich gelang es ihr, Patrick zurückzuschieben. Sie rutschte energisch auf ihren eigenen Platz zurück und drückte keuchend die Hand auf die Brust. „Was ist in dich gefahren?" schimpfte sie.
    Patrick sah sie an, und sie merkte, daß er wütend wurde. „Von ihm läßt du dich küssen, nicht wahr?"
    Anne fühlte sich immer unbehaglicher. „Dominick ist mein Mann, Patrick."
    „Er ist ein Schwindler."
    Sie erschrak heftig.
    „Er ist ein Hochstapler, ein Niemand", fuhr er barsch fort.
    „Und du freust dich darüber?" fragte Anne.
    „Verteidigst du ihn etwa?" rief Patrick. „Dominick hat dich furchtbar getäuscht, nicht einmal, sondern zweimal. Und du läßt dich immer noch von ihm küssen. Früher hätte ich das vielleicht verstanden. Aber jetzt, nachdem die Wahrheit ans Licht gekommen ist, begreife ich dich wirklich nicht."
    Anne ärgerte sich über seine Bemerkung. „Die Tatsache, daß Philip nicht Dominicks

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