0104 - Wir und das Wachsfigurenkabinett
machen Sie die Obduktion, oder lassen Sie sie machen. Geben Sie den Befund in doppelter Ausfertigung an Lieutenant Crosswing, der mir ein Exemplar übermitteln wird.«
Dann nahm ich den Sergeanten in die Zange.
»Wer hat das Essen geholt und wo?«
»Es wurde jeden Mittag von der Italienerkneipe an der Ecke von der Mottstreet geschickt und an der Pforte abgegeben.«
»Wie heißt die Kneipe?«
»Venetia. Sie gehört einer dicken Italienerin mit Vornamen Sofia.«
»Melden Sie den Mord an Lieutenant Crosswing, und wenn er noch nicht da ist, seinen Stellvertreter. Wahrscheinlich wird er Ihnen einen Orden für die ungeheuerliche Schlamperei verleihen. Sagen Sie, ich selbst sei inzwischen zum ›Venetia‹ gegangen.«
Ich ließ den Wagen stehen, es waren ja nur ein paar Schritte. Wie ich aus dem Schild ersah, hieß die Wirtin Sofia Luciano. Sie stand hinter der Theke, eine ältere, unförmige dicke, aber wie ich sofort sah, flinke Frau.
»Cotton, FBI.« Ich legte meinen Ausweis hin. »Ich möchte Sie ein paar Minuten sprechen.«
»Muss das jetzt sein? Ich habe alle Hände voll zu tun.«
»Es muss sofort sein. Einer Ihrer Gäste ist nach einer Mahlzeit, die von hier stammte, mit Vergiftungserscheinungen gestorben.«
»Das ist unmöglich«, behauptete sie entrüstet. »Ich führe dieses Lokal jetzt zehn Jahre, ohne dass das Geringste vorkam. Kommen Sie mit in die Küche, überzeugen Sie sich. Alles ist sauber, alle Zutaten erstklassig.«
Ich unterbrach ihren Wortschwall, den sie mit weit ausholenden Gesten begleitete.
»Wollen Sie nun, oder soll ich Sie von einem Polizisten zum Verhör ins Districtsbüro bringen lassen?«
Bei dieser Drohung verstummte sie. Sie winkte einem jungen Mädel, das ihr half, wischte sich die Hände an der Schürze ab und folgte mir wortlos zu einem kleinen Tisch, der nahe der-Theke stand.
»Sie haben seit ungefähr drei Tagen für einen Ihrer Landsleute Essen ins Polizeigefängnis geschickt. Dieses Essen oder vielmehr der dazugehörige Salat war vergiftet. Wer hat diesen zubereitet, und wer hat ihn hinübergebracht?«
»Soll ich den Koch rufen - oder wollen Sie mitgehen?«, fragte sie. »Ich kann Ihnen aber nur versichern, dass Mario so etwas nicht tut. Warum solle er denn jemanden vergiften?«
Die Küche war wirklich tadellos. Mario, ein alter Italiener mit hoher weißer Mütze, erbleichte, als er hörte, was vorgefallen war. Dann schüttelte der den Kopf.
»Sehen Sie hier, in dieser Schüssel befinden sich noch die Reste des Salats. Es ist dieselbe Schüssel, aus der ich die Portion zu der Pasta Milanese genommen habe. Hundert Leute haben davon gegessen es ist einfach unmöglich.«
Eilfertig legte er mir eine paar Tomatenscheiben und Oliven auf ein-Tellerchen. Ich war vorsichtig und machte es genauso wie vorher der Doktor. Das Zeug schmeckte einwandfrei nach Zitrone und einer Menge Olivenöl, aus dem ich mir nichts mache.
»Geben Sie mir das Teilerchen mit. Ich muss den Salat untersuchen lassen, und nun bringen Sie mich zu dem, der die Speisen hinübergebracht hat.«
»Der Junge ist nicht mehr da«, warf der Koch ein. »Ich habe ihn, als ich ihn nicht mehr brauchte, weggeschickt. Es war sowieso ein Fremder. Alfredo ließ durch ihn ausrichten, er sei krank, und da habe ich ihn gleich dabehalten.«
Jetzt dämmerte es mir.
»Ihr ständiger Laufjunge war also gar nicht da?«
»Nein, ich sagte ja schon einmal. Er schickte einen Vertreter, weil er sich nicht wohl fühlte.«
»Und den haben Sie so ohne weiteres angenommen?«
»Warum sollte ich nicht? Ich musste jemanden haben, und es ist ja gleich, wer die Gänge besorgt.«
»Haben Sie ihn wenigstes nach seinem Namen gefragt?«
Er breitete entrüstet die Hände aus.
»Zu was sollte ich das tun? Er sagte mir. Alfredo habe ihm schon etwas dafür gegeben, dass er ihn vertrat.«
»Und wer, zum Teufel, ist dieser Alfredo?«
»Alfredo Caramelli. Er wohnt gleich um die Ecke am Central Markt. Wenn Sie wollen, geben ich ihnen einen von unseren Küchenjungen mit.«
Ich nahm das inzwischen eingepackte Teilerchen und ließ mich führen. Es ging um den Block herum, durch einen finsteren Torweg und über einen Hof, der von einer Horde schwarzlockiger Kinder bevölkert war.
»Hier ist es«, sagte der Junge und stieß eine Tür auf, ohne anzuklopfen.
In dem Raum roch es durchdringend nach Fisch, kochendem Öl und frisch gewaschener Wäsche, die an ein paar Leinen an der Decke hing. Eine Frau von vielleicht 35 Jahren war beim
Weitere Kostenlose Bücher