0106 - Hügel der Gehenkten
Nacht dort aufzuhalten?«
»Alle?«
»Sicher.«
»Das wird nicht einfach sein.«
»Natürlich ist es leicht!« kreischte die alte Kullina. »Du brauchst ihnen nur zu sagen, daß der Schamane zurückgekehrt ist. Dann rennen sie doch von selbst.«
»Halt den Mund!«
Die Alte lachte nur.
Ted Orvell schaute auf seine Uhr. »Wieviel Zeit bleibt uns denn noch?«
»Nicht einmal eine Stunde«, erwiderte ich.
»Das ist zu knapp.«
»Fürchte ich auch, John«, sagte Bill.
»Okay, dann packen wir es anders an. Sagen Sie den Leuten, daß sie in ihren Wohnungen bleiben sollen. Am besten…«
Ich verstummte, denn draußen vor dem Gasthaus war ein gellender Schrei aufgeklungen.
Wie Läufer aus den Startlöchern, so spritzten wir in die Höhe. Bill und ich waren als erste an der Tür, rissen sie auf und sahen den Mann, der den Coroner holen sollte, mitten auf der Straße. Er hatte die Hand erhoben und deutete hinüber zum Hügel der Gehenkten.
Was ich sah, versetzte auch mir einen Schock, obwohl ich verdammt viel gewohnt war.
Der Hügel schien um das Doppelte gewachsen zu sein. Und ebenso Ruuf, der Schamane, und natürlich Destero, der Henker.
Gewachsen war auch der Galgen und der Mann, der mit dem Kopf in der Schlinge hing.
»Das ist der Coroner«, flüsterte Toddy, der Bote, und kippte einfach um…
***
Ohne den Galgen aus den Augen zu lassen, packte ich Toddy und schüttelte ihn durch. »Wie ist der Coroner dort an den Strick gekommen?« fragte ich ihn.
»Ich… ich weiß nicht«, stotterte er. »Ehrlich nicht, Sir. Ich wollte ihn holen, da war er nicht da.«
»Haben Sie seine Frau gefragt?«
»Der Coroner ist nicht verheiratet. Den will keine haben«, lautete die Antwort.
Verständlich.
Ich ließ Toddy los.
Aus der Tür des Gasthauses drängten sich jetzt die Gäste. Der Bürgermeister an der Spitze. Alle hatten natürlich den Schrei vernommen, und jeder starrte in die Richtung, in die auch ich starrte.
»Der Galgen!« hauchte Ted Orvell und ballte seine gewaltigen Hände.
Andere beteten oder schlugen Kreuzzeichen. Wieder andere jammerten oder ergingen sich in Verwünschungen. Keiner jedoch besaß den Mut, gegen den Spuk anzukämpfen.
Nur die alte Kullina kicherte. Sie lehnte am Türrahmen und spottete. »Ja, winselt nur, ihr Feiglinge. Ich habe euch lange genug gewarnt. Ihr hättet die verbrannte Erde mit Weihwasser bespritzen sollen, wie ich euch geraten hatte, dann wäre der Galgen dort nicht entstanden. Aber ihr ward ja schlauer, wußtet alles besser. Das habt ihr nun davon. Er ist wieder da.«
»Halt das Maul, Alte!« fuhr der Bürgermeister sie an.
»Auch du wirst noch zittern, Ted. Guck dir doch den Henker einmal an. Glaubst du, ihr hättet wirklich eine Chance gegen ihn? Nein, der macht alle fertig, und auch diesen Mann hier aus London.«
Ich gab der Alten keine Antwort, sondern konzentrierte mich weiterhin auf das schaurige Bild.
Ruuf und Destero standen so, daß die Schlinge zwischen ihnen baumelte. Und beide schauten auf das Dorf hinunter. Deutlich waren Ruufs blaue Augen zu erkennen, geheimnisvolle Kristalle, durch die er sehen konnte.
Jetzt streckte er seine Hand aus, und Destero nickte.
Dann aber geschah etwas, womit nicht einmal ich gerechnet hatte. Hinter dem teuflischen Duo erschien ein Gesicht. Es tauchte wie eine hellere Farbkomposition am Himmel auf und zeigte die Züge einer teuflisch schönen Frau.
Es war – Asmodina!
Sie hatte mir in diesem höllischen Reigen noch gefehlt. Asmodina, meine Erzfeindin, die an die Stelle des Schwarzen Tods getreten war. Klar, Destero stand unter ihrem Schutz, und sie würde niemals aufgeben, mich zu jagen. Sogar in eine Burg im Zwischenreich hatte sie mich entführt, und dort kämpfte ich gegen ihre schwarzflügeligen Todesengel, die man gleichzeitig als ihre Leibwächterinnen bezeichnen konnte.
Einige davon hatte ich schon zur Hölle geschickt.
Zudem war Myxin verschwunden. Der kleine Magier, der mir in letzter Zeit so manches Mal geholfen hatte und den ich aus Asmodinas Klauen befreien konnte, war durch irgendeinen Zauber in eine andere Dimension verschlagen worden. Bis jetzt hatte ich noch kein Lebenszeichen von ihm vernommen.
Nur kurz schweiften meine Gedanken ab, dann schaute ich wieder auf die geisterhafte Projektion am nachtdunklen Himmel.
Die Menschen im Ort standen vor Staunen starr. »Wer ist das?« flüsterte Ted Orvell.
»Asmodina.«
»Kenne ich nicht.«
»Seien Sie froh«, erwiderte ich.
»Was bedeuten die Hörner auf
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