0107 - Die Hand des Hexers
Merkt sie denn nicht, was hier geschieht? Weiß sie denn nicht, daß ich ihre Hilfe brauche?
»Nicole…«, rief sie. Es kaum kaum über ihre Lippen. Verzweifelt versuchte sie es noch einmal: »Nicole…«
Im selben Augenblick passierte etwas, das ihr die Stimme vollends verschlug.
Der unheimliche Schein verdichtete sich, nahm die Form eines Kopfes an, war zunächst blaßrosa, in das sich aber mehr und mehr Rot mischte, bis die dunkelrote Teufelsfratze perfekt war.
Cher hatte furchtbare Zustände.
Todesangst schüttelte sie.
Die grauenerregende Fratze löste sich aus dem Bilderrahmen und schwebte langsam auf das verstörte Mädchen zu.
Cher Cobalt schlug die Hände vors Gesicht, doch eine unbekannte Macht zwang sie, die Arme sinken zu lassen.
Sie schüttelte entsetzt den Kopf.
Das Satansgesicht starrte sie feindselig an. Cher vernahm ein höhnisches Lachen, das ihr beinahe den Verstand raubte. Siedendheiß jagte das Blut durch ihre Adern.
»Hilfe!« krächzte sie. »Nicole, steh mir bei…«
»Cher Cobalt!« knurrte die schreckliche Stimme des Spuks. »Cher Cobalt, es ist Zeit, daß du dich auf den Tod vorbereitest!«
Das Mädchen schüttelte schluchzend den Kopf. »Ich… ich bin noch zu jung…«
»Du bist alt genug!«
»Ich will nicht…«
»Wer fragt danach?«
Wieder gab es eine Veränderung. Die glühenden Augen des Teufelsschädels quollen aus den Höhlen, wurden groß wie die Bildschirme von TV-Geräten, und in ihnen spielten sich auf einmal grauenvolle Szenen ab.
Cher Cobalt erkannte Folterknechte und sich selbst.
Die grausamen Kerle legte dem Mädchen Daumenschrauben an. Cher hörte sich selbst unter unsagbaren Schmerzen schreien und wimmern, doch niemand hatte Mitleid mit ihr. Die schrecklichen Schergen machten ungerührt weiter.
Cher sah, wie sie gegeißelt wurde, wie ihr geschundener Körper immer aufs neue gemartert wurde…
Ihr Gesicßt War von Angst und Schrecken verzerrt. Aber der Horror in den riesigen Augen des Unholds nahm noch kein Ende. Cher konnte sehen, wie man sie in ein Büßerhemd steckte, wie man sie aus dem Kerker trieb, auf einen Karren hob, sie zum Richtplatz brachte, wo der Scheiterhaufen auf sie wartete.
Als die Flammen über ihren Körper leckten, nahm sie alle Kraft zusammen und stieß einen langgezogenen, grellen Schrei aus…
***
Nicole Duval entnahm dem Medikamentenschrank die halbe Schlaftablette, ergriff ein sauberes Zahnputzglas, füllte es mit warmem Wasser und löste die Droge darin auf.
Das alles nahm nicht mehr als zwei Minuten in Anspruch.
Als Nicole zu ihrer Freundin zurückkehren wollte, schrie diese so fürchterlich auf, daß Nicole beinahe das Glas aus den Fingern gerutscht wäre.
»Cher!« rief Zamorras Sekretärin. »Cher, um Gottes willen!«
Sie eilte ins Schlafzimmer und machte Licht.
Hastig stellte sie das Glas beiseite.
Cher Cobalt saß in Schweiß gebadet im Bett, starrte wie eine Wahnsinnige das Ölgemälde an, das an der gegenüberliegenden Wand hing, und konnte nicht aufhören, diese markerschütternden Schreie auszustoßen.
»Cher!« rief Nicole Duval besorgt. »Cher, was ist mit dir?«
»Da! Das Bild!« röchelte die entsetzte Schauspielerin. »Nicole, das Bild!«
»Was ist damit?«
»Siehst du’s denn nicht?«
»Nein…«
»Diese schreckliche Erscheinung!«
»Ich kann sie nicht sehen.«
»Sie ist aber da. Eine abscheuliche Teufelsfratze. Sie… sie grinst mich an, Nicole. Oh, Nicole, ich habe solche Angst…«
Nicole Duval legte ihre Hände um Cher Cobalt. Die Schauspielerin preßte ihr Gesicht gegen Nicoles Busen. »Du brauchst keine Angst zu haben, Cher«, sagte Nicole eindringlich. »Ich bin bei dir. Es kann dir nichts passieren.«
»Ich werde sterben!«
»Unsinn, Cher.«
»Er hat es gesagt. Er hat gesagt, ich solle mich auf den Tod vorbereiten.«
»Wer?«
»Dieser Teufel…«
»Beruhige dich, Cher.«
»Welch ein Tod!« jammerte Cher Cobalt. »Welch ein grauenvoller Tod steht mir bevor. Man wird mich foltern, man wird mich schlagen… Ich werde auf dem Scheiterhaufen enden.«
»Das glaube ich nicht. Woher willst du das wissen?«
»Er hat es mir gezeigt. Er hat es mich sehen lassen. Ich mußte bei meinem eigenen Ende Zusehen.«
Nicole wandte sich um. Für sie war das Gemälde völlig normal. Sie wollte hingehen und sich das Bild aus der Nähe ansehen, doch Cher schrie ängstlich auf und bettelte: »Geh nicht weg, Nicole. Bleib bei mir. Halt mich fest. Ich fürchte mich so sehr!«
Nicole strich mit der
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