011 - Das Mädchen in der Pestgrube
Kapuzenmänner standen im Halbkreis um Steffi herum, die auf dem Boden kniete und den Schrein über ihrem Kopf balancierte. Der Singsang verstummte, und ich hörte Michael Zamis' energische Stimme.
»Ansuperomin!« sagte er laut. »Wir flehen dich an, wir beten dich an, wir erbitten deine Hilfe! Sieh unser Opfer, Ansuperomin! Wir bringen es dir dar, damit du uns in unserem Kampf gegen den herrschenden Fürsten der Finsternis beistehst. Wir flehen um deine Gnade! Nimm unser Opfer an!«
Ich reckte mich nochmals. Die Kapuzenmänner kehrten mir den Rücken zu. Steffi hatte die Augen geschlossen.
Irgend jemand sollte geopfert werden, das war mir klar; und wie ich die unheimlichen Sitten der Schwarzen Familie kannte, konnte es sich nur um ein Menschenopfer handeln. Es war zu dunkel, um Details zu erkennen.
Zamis flehte weiterhin Ansuperomin an, der ein französischer Zauberer gewesen war.
Stephanie sagte kein Wort. Die Kapuzenmänner bewegten sich, und ich zog rasch den Kopf zurück. Sie kamen genau auf den Schacht zu. Ich kletterte einige Sprossen hinunter. Es wäre mein Tod gewesen, wenn ich es gewagt hätte, die unheimliche Versammlung zu stören. Ich glitt tiefer, bis ich die Stimmen nur noch sehr undeutlich vernahm. Nur eines ging eindeutig aus ihren Worten hervor: Die Familie Zamis verschwor sich mit Steffi im Kampf gegen Asmodi. Eigentlich konnte mir das ja nur recht sein.
Ich zuckte zusammen, als ich einen schrillen Frauenschrei hörte. Dann war ein gurgelndes Geräusch zu hören. Danach wurde es still.
Schritte näherten sich dem Schacht. Ich ließ mich auf den Boden fallen. Die Schritte kamen näher. Irgend etwas prallte gegen die Leiter. Ein Scharren war zu hören. Vorsichtig trat ich einen Schritt zur Seite. Etwas fiel den Schacht hinunter und krachte neben mir zu Boden. Die Schritte entfernten sich.
Ich wartete einige Minuten, dann bückte ich mich neugierig, was die unheimliche Versammlung in die Pestgrube geworfen hatte. Kurz knipste ich die Lampe an, wandte mich aber gleich wieder schaudernd ab. Es war ein junges nacktes Mädchen.
Ich ballte die Fäuste und preßte grimmig die Lippen zusammen. Der Mord würde gerächt werden, das schwor ich mir.
Rasch kletterte ich die Leiter hoch. Der Spuk war vorüber. Die Kapuzenmänner und Steffi waren verschwunden. Ich blickte mich in der leeren Kammer um und entdeckte in einer Ecke eine Blutlache. Gehetzt suchte ich nach dem Ausgang, fand ihn aber nicht. Mehr als eine Stunde suchte ich, dann gab ich es auf. Es war kurz nach zwei Uhr. Mir blieb keine andere Wahl. Ich mußte die Nacht in den Katakomben verbringen und auf die erste Führung warten.
Zögernd betrat ich die Unterkirche, setzte mich auf eine Bank, steckte mir eine Zigarette an und rauchte. Helnwein würde sich um mich sorgen, aber ich konnte nichts daran ändern. Als ich zu Ende geraucht hatte, legte ich mich auf die Bank. Sie war hart und unbequem. Nach einigen Minuten setzte ich mich wieder auf. Mein Geist kam einfach nicht zur Ruhe.
Welche Verbindung bestand zwischen Steffi und der Familie Zamis? Woher kam das Mädchen?
Doch so sehr ich mir auch das Hirn zermarterte, ich fand keine Antwort auf meine Fragen. Ich legte mich erneut auf die Bank und schlief irgendwann ein.
Stimmen weckten mich. Ich setzte mich verschlafen auf und blickte auf die Uhr. Es war zehn. Die erste Führung durch die Katakomben begann. Ich klopfte mir den Staub von der Kleidung und verbarg mich in einer Nische. Meine Hose war zerrissen, ich sah wie ein Landstreicher aus.
Als der Führer mit seiner Gruppe an mir vorbei war, lief ich in den Vorraum, öffnete die Tür und hastete die Stufen hoch, die in den Dom führten, von dort aus weiter durch die Kirche zum Hauptausgang. Einige Besucher des Doms warfen mir überraschte Blicke zu, doch ich achtete nicht auf sie.
Aufatmend trat ich ins Freie, sah mich nach einem Taxi um, und da ich keines entdecken konnte, lief ich die Kärntnerstraße entlang bis zum Taxistand an der Krugerstraße. Ich stieg in das erste Taxi ein und nannte die Jagdschloßgasse als Ziel.
Der Fahrer musterte mich mißtrauisch. Ich war alles andere als ein hübscher Anblick in dem schmutzigen, zerrissenen Anzug.
»Schauen Sie nicht so!« knurrte ich wütend. »Ich hatte einen Unfall. Fahren Sie endlich los!«
Der Mann brummte ungehalten und startete den Wagen.
Es kam mir endlos lange vor, bis wir endlich die Wienzeile erreichten. Der Fahrer fuhr am Schloß Schönbrunn vorbei. Bei der
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