011 - Der grüne Brand
Schubladen, in denen sonst Briefmarken und Bleistifte lagen, waren herausgezogen und leer.
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Mit fliegenden Händen durchblätterte sie die Papiere, die da lagen. In der Hauptsache waren es Briefe von Freundinnen, alte Theaterprogramme und Kochrezepte - eben der ganze Kram, der sich mit der Zeit in einem Haushalt ansammelt.
Ein Gedanke kam ihr, und sie lief ins Schlafzimmer. Tatsächlich - auch die Schublade ihrer Kommode stand offen. Es war klar, daß auch hier alles durchsucht worden war.
Ein Blick zum halboffenen Fenster sagte ihr, daß der Eindringling höchstwahrscheinlich auf diesem Weg hereingekommen war. Sie wußte, daß direkt neben dem Fenster die Feuerleiter vorbeiführte.
Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück und ordnete mechanisch die verstreuten Papiere. Dann setzte sie sich auf einen Stuhl, stützte das Kinn in die Hand und rief sich die Ereignisse des Vormittags ins Gedächtnis zurück.
Wer hatte ihren Schreibtisch durchsucht, und was hatte man dort zu finden gehofft? Sie glaubte keinen Augenblick daran, daß ein gewöhnlicher Diebstahlsversuch dahintersteckte.
Vielleicht bestand sogar irgendein Zusammenhang zwischen diesem Einbruch und ihrer plötzlichen Entlassung? Seit gestern abend war sie von so viel Rätseln umgeben, daß sie nicht mehr wußte, wo ihr der Kopf stand.
Mit einem resignierten Achselzucken gab sie das Nachdenken schließlich auf und überlegte sich nur noch, wie sie den Tag verbringen sollte. Vielleicht konnte sie sich einen Theaterbesuch leisten und auch noch auswärts zu Abend essen. Beim Gedanken, daß sie dann nachts allein in ihre Wohnung zurück mußte, fuhr sie zusammen. Wirklich, sie wurde allmählich nervös!
Schnell ging sie ins Schlafzimmer, holte ihr dunkles Kostüm aus dem Schrank und legte es aufs Bett.
In diesem Moment klopfte es an die Tür. Sie zögerte, lief dann in den Flur und öffnete. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück - draußen standen drei Männer, von denen zwei das unverkennbare amtliche Aussehen von Kriminalbeamten hatten, der dritte war Mr. White, würdevoller und ernster denn je.
»Miß Cresswell?« fragte sie einer der Beamten.
»Ja.«
»Können wir Sie einen Augenblick sprechen?«
Sie führte die Herren in ihr kleines Wohnzimmer und stellte sich ihnen gegenüber an die Wand.
»Ihr Name ist Margaret Cresswell? Bis vor kurzem waren Sie bei der Firma Punsonby angestellt?«
»Stimmt«, sagte sie und wurde immer neugieriger, was das eigentlich bedeuten sollte.
»Wir haben bestimmte Informationen über Sie erhalten, die Ihre Entlassung heute früh zur Folge hatten«, fuhr der Beamte fort.
Sie sah ihn entrüstet an.
»Informationen? Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, daß Sie beschuldigt werden, Gelder Ihrer Firma veruntreut zu haben. Das ist doch wohl Ihre Beschuldigung, Sir?« Er wandte sich zu Mr. White, und dieser würdevolle Gemütsmensch nickte bedächtig.
»Das ist eine Lüge, eine ganz gemeine Lüge!« rief das Mädchen und sah den Geschäftsführer von Punsonby wütend an. »Sie wissen, daß es eine Lüge ist, Mr. White. Tausende von Pfund sind durch meine Hände gegangen, und niemals wurde die geringste Unstimmigkeit beanstandet - wie kann man nur so gemein sein . ..«
»Beruhigen Sie sich doch ein wenig, Miss«, sagte der Beamte, der derartige Szenen wohl schon öfters erlebt hatte. »Im übrigen liegt bis jetzt noch keinerlei festes Beweismaterial gegen Sie vor.«
»Das Beweismaterial wird sich finden«, murmelte Mr. White vor sich hin.
»Nun ja, wir haben eine Information erhalten, daß drei Einschreibebriefe, die zusammen die Summe von dreiundsechzig Pfund enthielten . . .«
». . . und vierzehn Shilling, sieben Pence«, warf Mr. White ein.
»Schön, etwas über dreiundsechzig Pfund«, sagte der Kriminalbeamte. »Diese Summe soll in Ihrer Wohnung versteckt sein.«
»In der untersten linken Schublade Ihrer Kommode«, murmelte Mr. White. »Das haben wir aus vertrauenswürdigster Quelle erfahren! Tut mir leid, sehr leid, aber so ist es.«
Das Mädchen sah von einem zum andern.
»Ich habe eine polizeiliche Vollmacht. . .«, begann der Beamte.
»Das ist nicht nötig«, sagte das Mädchen ruhig, »es steht Ihnen frei, diese Wohnung zu durchsuchen. Ich habe nichts zu verbergen.«
Der Beamte wandte sich an seinen Begleiter.
»Bitte durchsuchen Sie diesen Schreibtisch dort. Ist er verschlossen?«
Sie hatte den Schreibtisch abgeschlossen und gab dem Mann den Schlüssel.
Der andere Beamte ging ins
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