011 - Der grüne Brand
Büchern und Papieren bedeckten Schreibtisch und arbeitete eifrig. Sie wollte Mr. Beale unbedingt schon am nächsten Morgen eine Probe ihres Fleißes abliefern. Allmählich wurde sie aber doch müde, schließlich hatte sie in der vergangenen Nacht sehr wenig geschlafen.
Sie begann sich auszukleiden, und die vielen Namen, die sie heute gelesen hatte, gingen ihr dabei noch einmal durch den Kopf. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie vergessen hatte, die Außentür ihrer Wohnung abzuschließen. Sie ging schnell in den Flur und drehte den Schlüssel um. Im Treppenhaus hörte sie Stimmen.
Es war Dr. Harding, der sich mit jemand unterhielt, den sie nicht kannte.
»Mach dir keine Sorgen - ich habe ein fabelhaftes Gedächtnis...«
Der Doktor murmelte etwas, das sie nicht verstehen konnte, und sagte dann lauter: »Ja, ja ... Scobbs Hotel in Rotegaul . . . kenne ich sehr gut... Na, gute Nacht.«
Eine Tür schlug zu, und unsichere Schritte entfernten sich.
7
Margaret Cresswell war auf einmal nicht mehr müde. Sie zog rasch ihren Morgenrock an und ließ sich in einen Sessel fallen, um noch eine halbe Stunde zu lesen und sich die nötige Bettschwere zu verschaffen. Zu jeder anderen Zeit hätte das Buch ihre Aufmerksamkeit völlig in Anspruch genommen, aber jetzt ertappte sie sich dabei, daß ihre Gedanken öfters abschweiften. Auf der andern Seite der Wand, die sie jetzt mit neuem Interesse betrachtete, befand sich der Mann, der sich so plötzlich in ihr Leben gedrängt hatte. Vielleicht war er auch gar nicht zu Hause? Wie mochte er wohl seine Abende verbringen?
Sie hörte ein dumpfes Klopfen. Es kam von jener Wand.
Mr. Beale war also zu Hause und beschäftigte sich anscheinend damit, zu mitternächtlicher Stunde Nägel in die Wand zu schlagen.
Plötzlich horchte sie auf. Das klang ja wie Morsezeichen. Tatsächlich - jetzt verstand sie; er gab ihr Signale und hatte soeben ›M. C.‹ geklopft - ihre Initialen.
Sie sprang auf, klopfte dreimal mit ihrem Finger, schlug einmal mit der flachen Hand auf und klopfte wieder. Das hieß ›Verstanden!‹ Dann gab er wieder Zeichen, und sie schrieb schnell die Worte am Rande ihres Buches nieder.
»Sehr wichtig! Seife nicht gebrauchen. Mit ins Büro bringen.«
Sie lächelte ein wenig und fand diese Idee von Mr. Beale nicht gerade geistreich. Aber sie klopfte gehorsam »Verstanden!« und legte sich ins Bett.
Trotz der ihr zugestandenen Freiheit nahm sie sich fest vor, morgens pünktlich um zehn Uhr im Büro zu erscheinen. Das bedeutete, daß sie spätestens um acht Uhr früh aufstehen mußte, denn vorher hatte sie noch ihren kleinen Haushalt zu besorgen.
Am andern Morgen weckte sie das anhaltende Klingeln des Briefträgers. Noch ganz verschlafen nahm sie einen Brief und ein kleines Päckchen in Empfang und stellte fest, daß es bereits halb neun Uhr war. Der Brief war von einem bekannten Parfümeriegeschäft an sie gerichtet und lautete:
›Sehr verehrtes gnädiges Fräulein!
Wir freuen uns, Ihnen ein Muster unserer neuen Gesichtsseife überreichen zu dürfen und hoffen, daß sie Ihren Beifall finden wird.‹
»Das ist aber nett«, sagte sie vor sich hin und wunderte sich ein wenig, wie sie zu der Ehre kam. Sie öffnete das Päckchen. In einem kleinen Karton lag, sorgfältig in feinstes Seidenpapier eingeschlagen, ein ovales Stückchen lila Seife, das einen zarten Duft ausströmte.
»Wirklich sehr nett«, sagte sie wieder und legte das Geschenk ins Badezimmer.
Als sie später im Bad saß, griff sie nach der Seife, ließ sie aber plötzlich wieder fallen.
Auf einmal hatte sie sich an die Worte von Mr. Beale erinnert. Er wußte also, daß dieses Päckchen kommen würde, und seine Worte waren kein Scherz gewesen. Schnell zog sie sich an, frühstückte hastig und war zehn Minuten vor der Zeit im Büro.
Mr. Beale wartete schon auf sie. Er saß wie gewöhnlich am Rande des Tisches und nickte ihr einen kurzen Gruß zu. Ohne ein weiteres Wort streckte er die Hand aus.
»Die Seife?«
Sie nickte und öffnete ihre Tasche.
»Gut«, sagte er, »ausgezeichnet, daß Sie auch die Packung aufgehoben haben; und das hier ist wohl der Brief, der mit dem -hm - Geschenk kam?«
Er zog seine Handschuhe an und wickelte das Stück Seife vorsichtig aus dem Seidenpapier.
»Jetzt zeigen Sie mir den Brief.«
Sie reichte ihn ihm, und er untersuchte ihn sorgfältig.
»Na, das Parfümeriegeschäft Brendon hat bestimmt nichts mit der Sache zu tun - aber wir können uns ja vergewissern.«
Er ging zum
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