0111 - Die grausamen Ritter
die Länder sind, die die meisten Sagen und Legenden besitzen. Viele Menschen glauben daran, sie rechnen förmlich damit, daß übersinnliche Kräfte in ihr Leben eingreifen. So ist es auch mit der Drachen-Saga. Vor unendlich langer Zeit sollen hier in diesem Gebiet riesige Drachen gehaust haben. Sie haben Kämpfe geführt und sich gegen ihre Feinde viele Jahrhunderte lang behauptet. Doch irgendwann sind sie ausgestorben. Bis auf einen, der soll zurückkommen.«
»Er ist zurückgekommen«, sagte Shao.
Diana nickte. »Ja. Vor kurzem fand ein Ereignis statt, das ich aus der Ferne mitangesehen habe. Ich befand mich damals bei Rocco auf der Hütte. Über dem Dorf hing plötzlich eine glühende Glocke. Nur für Sekunden, wir hörten ein gellendes Pfeifen, danach ertönte ein Donnerschlag, dann war es wieder ruhig. Hinterher waren die Menschen verändert. Sie sprachen nur noch von Barrabas.«
»Und was ist mit den Rittern?« wollte Shao wissen.
»Das ist wiederum eine andere Geschichte. In welch einem Zusammenhang das Auftauchen der Ritter mit der Geburt des Drachen steht, ist mir nicht bekannt. Es muß jedoch eine Verbindung geben, denn die Ritter sind zum gleichen Zeitpunkt erschienen.«
»Vielleicht bekommen wir das noch heraus.«
»Dann willst du nicht fliehen?« Diana war erstaunt.
»Nein, ich bleibe hier. Außerdem weiß ich nicht, was mit meinem Freund ist. Er ist wahrscheinlich gefangengenommen worden, und ich muß ihn befreien.«
»Wenn Barrabas ihn in seiner Gewalt hat, dann ist es zwecklos«, sagte Diana.
»So leicht gebe ich nicht auf.« Shao fiel noch etwas ein. »Warum sieht man hier keine Kinder?«
Diana Redford senkte den Kopf und starrte auf die Tischplatte.
»Das ist eine sehr böse Geschichte«, erwiderte sie leise.
»Erzähle sie trotzdem«, bat Shao.
»Die Kinder sind versteckt worden«, berichtete das rothaarige Girl. »Denn die Geschichte besagt, daß der Drache sich seine Kraft aus den Seelen der Kinder holt.«
Shao wurde blaß. »Wirklich?«
»Ja.«
»Aber das ist ja grauenhaft.«
»Wir können nur hoffen, daß die Kinder weiterhin in den Verstecken bleiben, und nicht einmal da sind sie sicher.«
»Und du bist dir hundertprozentig sicher, daß der Drache auch existiert?« hakte Shao noch einmal nach.
Diana nickte.
»Aber was kann man tun?« Shao breitete die Arme aus.
»Nichts.«
»Daran glaube ich nicht.«
Diana hob den Blick. Shao sah, daß sie grünblaue Augen hatte.
»Du lebst in der Stadt, und du kommst nicht aus dieser Gegend. Hier läuft die Zeit anders als in London oder Glasgow.«
»Ja, das stimmt.« Plötzlich horchte Shao auf. Sie hatten Stimmen vernommen.
Männerstimmen.
Die Verfolger kamen.
Diana Redford stand auf. »Schnell, komm, du mußt dich verstecken! Sie werden die Häuser durchsuchen.«
»Und wo?«
»Im Keller!«
»Aber da…«
Diana faßte Shao am Arm. »Rede nicht, komm mit.« Sie zog die Chinesin aus dem Zimmer, in die winzige Diele, wandte sich nach links und stand schon vor der Kellertür. Sie quietschte erbärmlich, als Diana sie aufzog.
Licht gab es nicht, dafür stand auf einem kleinen Regal eine dicke Kerze. Diana besaß Streichhölzer und zündete den Docht an.
Die Flamme flackerte ein wenig, fand dann Nahrung und brannte ruhig.
Shao und Diana stiegen eine alte Holztreppe hinunter. Die Stufen bogen sich durch und knarrten erbärmlich. Das Geländer hing auch nur noch lose in der Halterung.
Später mußte Shao den Kopf einziehen, so niedrig war die Decke gebaut. Die Chinesin wurde zu einem Verschlag geführt. Es war nicht mehr als ein hüfthohes Loch in der Wand, und Shao mußte dort hineinkriechen.
»Da bleibst du«, sagte Diana.
Die Chinesin nickte. Auf einmal hatte sie Angst. Ihr Herz klopfte oben im Hals.
»Hier finden sie dich nicht«, flüsterte das rothaarige Girl. »Ich stelle eine Kommode vor.«
Sie gab Shao die Kerze und ließ auch die Streichhölzer zurück.
Dann schob sie die Kommode vor die Öffnung.
Shao blies die Kerze aus.
Stockfinster wurde es um sie herum.
»Viel Glück!« rief Diana Redford noch, bevor sie nach oben verschwand.
Shao hörte ihre Schritte auf der Treppe. Im nächsten Augenblick hämmerten schon schwere Fäuste gegen die Eingangstür des Hauses. Dumpf dröhnten sie bis in den Keller.
Shao hatte sich tief in den Verschlag verkrochen. Sie saß auf dem kalten Boden. Mit ihrem Rücken lehnte sie am rauhen Stein. Sie hoffte nur, daß die Männer sie wirklich nicht fanden, denn dann war alles
Weitere Kostenlose Bücher