0120 - Die Stunde der Vampire
Professorentitel bahnte ihm den Weg zum Stellvertreter des französischen Botschafters in der Republik Haiti. Zamorra plauderte ein wenig mit dem kultivierten Mann, erwähnte in dem Gespräch ein paar hohe Tiere der französischen Regierung, die er persönlich kannte, und kam schließlich auf den Zweck seines Besuchs zu sprechen.
»Ich möchte ein Empfehlungsschreiben, das mir Tür und Tor im haitianischen Innenministerium öffnet. Möglichst so bombastisch, daß der Innenminister selbst alles stehen- und liegenläßt und mich sofort empfängt.«
»Warum, Monsieur le Professeur?«
Zamorra holte eine Zeitung aus Cypress Springs hervor, in der ziemlich drastisch über die Attacke der Vampire berichtet wurde, wenn auch deutliche Hinweise auf die übernatürlichen Aspekte der Vorfälle fehlten.
»Wenn Sie diesen Artikel lesen würden?«
Der stellvertretende Botschafter las.
Ohne darauf einzugehen, woher er seine Informationen bezogen hatte, sagte der Professor anschließend: »Es ist zu befürchten, daß genau das gleiche hier auf Haiti passieren wird, in der Südwestecke der Insel. Und zwar in der Nacht vom Freitag auf Samstag. Ich will die Behörden warnen, um das Schlimmste zu vermeiden.«
Der Diplomat runzelte die Stirn. »In Cypress Springs sind Leute verschwunden? Spurlos?«
»Spurlos.«
»Und hier soll dasselbe in der Freitagnacht passieren?«
»Ja.«
Der Mann von der Botschaft holte tief Luft. »Ich fürchte, Ihr Zeitplan stimmt nicht ganz, Monsieur le Professeur!«
»Wieso?«
»Es sind schon mehrere Leute verschwunden. Jedenfalls liegen uns mehrere Vermißtenmeldungen französischer Staatsbürger vor. Und von der amerikanischen Botschaft weiß ich, daß auch einige US-Bürger betroffen sind.«
»Wann?« Zamorras Frage klang wie ein Pistolenschuß. »Wann sind diese Menschen verschwunden?«
»In den letzten drei Tagen.«
Das verstand Zamorra nicht. Nach den magischen Gesetzen mußten zwischen dem Auftreten der Blutsauger fünf Tage liegen. Eigentlich müßte Haiti also noch eine Frist von drei Tagen haben, da die Unholde die Bahamas erst vorgestern nacht heimgesucht hatten.
»Sind im Zusammenhang mit den verschwundenen Personen irgendwelche unerklärlichen Phänomene beobachtet worden?« fragte er. »Silberne Feuer, fremdartig wirkende Gestalten oder Bisse in den Hals?«
»Nicht daß ich wüßte«, antwortete der Diplomat.
Innerlich atmete der Professor auf. Wie es aussah, hatten die Vampire demnach mit den hier verschollenen Personen nichts zu tun. Er war also noch nicht zu spät gekommen.
»Was steckt dahinter?« wollte der Diplomat wissen. »Internationale Terroristen? Irgendein Geheimbund?«
»So ungefähr«, antwortete Zamorra ausweichend. Er wollte sich jetzt nicht damit aufhalten, dem Mann Dinge zu erklären, die dieser doch nicht glauben würde.
»Hat die haitianische Polizei nichts unternommen, um das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären?« erkundigte er sich.
Unangenehm berührt zog der Mann von der Botschaft die Mundwinkel schief.
»So eine Frage kann nur jemand stellen, der mit den hiesigen Verhältnissen nicht vertraut ist, Monsieur le Professeur. Die Sicherheitskräfte der Republik Haiti sehen ihre wichtigste und vornehmste Aufgabe darin, das Leben des Präsidenten und seiner Familie zu schützen. Für andere Dinge bleibt da nicht viel Zeit.«
Zamorra nickte. In Diktaturen sahen die Prioritäten nun mal anders aus.
Der Diplomat wollte doch noch Näheres über Zamorras Informationsquellen wissen. Dem Professor gelang es jedoch, sich aus der Affäre zu ziehen. Er beschränkte sich darauf, seinem Gegenüber einen guten Rat zu geben.
»So weit wie möglich sollten Sie alle französischen Bürger auffordern, sich in der fraglichen Nacht von der Südwestspitze der Insel fernzuhalten. Für alle Fälle!«
Der Diplomat versprach es.
Kurz darauf nahm Zamorra die gewünschte Empfehlung entgegen und verabschiedete sich.
***
Das Empfehlungsschreiben der französischen Botschaft, in dem Zamorra als eine der bedeutendsten lebenden Persönlichkeiten der Gegenwart geschildert wurde, tat seine Dienste. Zwar gelang es ihm nicht, bis zum Innenminister vorzudringen, da dieser sich zur Zeit gerade bei einer Audienz des Präsidenten befand. Aber er wurde ohne große Umschweife bei einem Mann vorgelassen, der in der haitianischen Hierarchie eine führende Rolle spielte.
Der Regierungsvertreter hieß Dessalines und war ein reinrassiger Neger von imponierender Schwärze. Vor gar nicht
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