0135 - Der Moloch
und starrte den Mädchen aus blutunterlaufenen Augen ins Gesicht. Er bewegte seine Kiefer, als würde er irgend etwas zermalmen, dann nickte er und steckte die Waffe weg.
Drei Mädchen zogen Jane Collins auf die Beine. Ein viertes kam mit einem angefeuchteten Lappen.
Der Detektivin ging es schlecht. Sie konnte kaum Luft holen.
Rippen und Lungenflügel schmerzten, zudem war ihre Unterlippe aufgeplatzt, aber sie lebte. Das war am wichtigsten.
Mandy hielt den Lappen. »Halt mal still«, sagte sie und wischte Jane das Blut von der Lippe.
Die Detektivin zuckte. Es war eine merkwürdige Situation. Hier wurde sie verarztet, obwohl sie wußte, daß sie bald sterben sollte.
Alles kam ihr so unwirklich vor, als würde sie die Welt nur durch einen Schleier sehen.
Grauenhaft…
Sie spürte die Kühle einer Flüssigkeit auf der Haut und merkte, wie gut das tat.
»Gib mal einen Schluck«, sagte Charity.
Jemand ließ Whisky in ein kleines Glas laufen und setzte es Jane an die Lippen.
Jetzt trank die Detektivin einen Schluck. Der Whisky rann scharf die Kehle hinab und breitete sich im Magen mit einer angenehmen Wärme aus.
»Endlich wirst du vernünftig«, hörte sie Charitys Stimme, während Janes Augen in Tränen schwammen.
»Noch einen Schluck?«
»Nein.«
Ireus stand an der Tür und schaute zu. Hin und wieder warf er einen Blick auf die Bodenklappe. Der Moloch in seinem Verlies war schon unruhig geworden.
Er bewegte sich hin und her, schlürfte, schmatzte und keuchte. Er kratzte am Deckel, konnte es kaum erwarten, die sieben jungen Leben zu bekommen.
»Es reicht«, sagte Ireus.
Die Mädchen traten zurück. Jane Collins wurde losgelassen.
Auch jetzt noch fiel es ihr schwer, sich auf den Beinen zu halten. Sie schwankte, atmete tief durch und schaffte es, ihren Kreislauf zu stabilisieren.
Ireus deutete auf den Durchgang. »In die Bar mit dir!«
Jane Collins ging vor. Sie hielt den Kopf gesenkt. Wie ein Vorhang fiel das lange Haar über ihr Gesicht. Obwohl sie Slip und BH trug, fühlte sie sich nackt.
Jane schämte sich unter den Blicken.
Ihre Knie waren weich, sie zitterten, die Lippen bebten, die Muskeln im Gesicht zuckten.
So geht eine Todeskandidatin, dachte sie.
Als sie über die Klappe schritt, wurde unter ihr das Keuchen und Schmatzen lauter. Der Moloch schien zu merken, daß ein Opfer gar nicht weit entfernt war.
Er wurde noch unruhiger.
Jane machte zwei schnelle Schritte und ließ die Luke hinter sich.
Dann betrat sie die Bar.
Es war ein mieser Neppschuppen. So wie sich der Mann vom Lande ein sündiges Haus vorstellt. Rotes Licht, eine Bartheke in Form eines Hufeisens, mehrere kleine Tische mit winzigen Sesseln davor und eine kreisrunde Tanzfläche. Sie wurde von der Decke her angestrahlt. Rotes Licht fiel auf das Glas.
Nach zwei Schritten blieb Jane Collins stehen. Sie sah plötzlich die Gestalten, die Diener des Molochs…
Die Detektivin hatte damit gerechnet, Typen in langen Umhängen oder Talaren zu begegnen, doch sie sah sich enttäuscht.
Statt dessen trugen die Diener des Molochs elegante Abendkleidung. Smokings oder dunkle Anzüge die Herren. Lange Kleider die Damen. Schmuck glitzerte im Licht der kleinen Scheinwerfer, warf blitzende Reflexe. Die Gesichter der Menschen waren maskenhaft starr, als sie Jane Collins anschauten.
Plötzlich vergaß Jane ihr Schicksal. Sie dachte darüber nach, was solche Typen dazu verleitete, einem Monster wie dem Moloch zu dienen. Sie alle sahen völlig normal aus, schienen Geld zu besitzen, denn der Schmuck war keine Imitation.
Jane konnte nur raten. War es die Übersättigung der Gesellschaft? Das Ausbrechen aus den normalen Bahnen? Ein Spiel mit der Gefahr, mit dem Ungewöhnlichen? Wollten sie die Hölle herausfordern? Diese Kulte waren in letzter Zeit sehr modern geworden. Das wußte Jane. Uralte Rituale längst vergessener Kulturen wurden wieder ausgegraben und ins Leben zurückgerufen.
Die moderne Gesellschaft, die in der Übertechnisierung lebte, suchte wieder das Geheimnisvolle, das Rätselhafte, der Teufel kam mit ins Spiel, wurde angebetet.
Eine schlimme Entwicklung, denn auf der Erde gab es genügend Probleme, die nicht gelöst waren, aber darum kümmerten sich diese Menschen nicht. Obwohl sie das Geld hatten, einen kleinen Beitrag zu leisten, lagen ihre Interessen woanders.
Sie wollten etwas Neues erleben, wollten sich selbst bestätigt fühlen und gingen dabei über Leichen.
Eine schlimme Entwicklung…
Diese Gedanken gingen Jane durch
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