014 - Das Geheimnis der gelben Narzissen
zu finden!«
»Das ist leicht möglich und auch wahrscheinlich«, erwiderte Tarling kühl. »Nun werde ich Ihnen gegenüber einmal ganz offen sein, Mr. Milburgh. Ich habe Sie im Verdacht, daß Sie sehr viel mehr von diesem Mord wissen, als Sie uns gesagt haben, und daß Sie über Mr. Lynes Tod viel befriedigter sind, als Sie im Augenblick zugeben. Lassen Sie mich erst zu Ende sprechen«, sagte er, als der andere sprechen wollte. »Ich möchte Ihnen noch etwas anderes erzählen. Als ich zum erstenmal dieses Warenhaus betrat, war ich beauftragt, Sie zu beaufsichtigen. Das war nun zwar weniger die Aufgabe eines Detektivs als eines Bücherrevisors. Aber Mr. Lyne hat mir damals den Auftrag gegeben, herauszubringen, wer die Firma betrog.«
»Und haben Sie es herausgebracht?« fragte Milburgh kühl. Immer noch spielte das fade Lächeln um seine Lippen, aber seine Augen verrieten ängstliches Mißtrauen.
»Nein, ich habe mich nicht weiter mit der Sache befaßt, nachdem Sie in Übereinstimmung mit Mr. Lyne erklärten, daß die Firma durch Odette Rider bestohlen wurde.«
Er sah, daß Milburgh erbleichte, und war mit dem Erfolg zufrieden.
»Ich will nicht zu sehr nach den Gründen forschen, die Sie veranlaßten, ein unschuldiges Mädchen zu ruinieren«, sagte Tarling streng. »Das ist eine Sache, die Sie mit Ihrem eigenen Gewissen abzumachen haben. Aber ich kann Ihnen nur sagen, Mr. Milburgh, wenn Sie unschuldig sind - sowohl an dem Verschwinden des Geldes als auch an diesem Mord -, dann habe ich niemals einen schuldigen Menschen gesehen.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Milburgh laut. »Wagen Sie es, mich anzuklagen -?«
»Ich klage Sie an, und ich bin restlos davon überzeugt, daß Sie die Firma seit Jahren bestohlen haben, ferner bin ich davon überzeugt, daß Sie wissen, wer der Täter ist, wenn Sie nicht selbst Mr. Lyne getötet haben.«
»Sie sind wahnsinnig!« rief Milburgh mit schriller Stimme, aber sein Gesicht war kreidebleich. »Angenommen, es wäre wahr, daß ich die Firma beraubt hätte, warum hätte ich dann Mr. Lyne ermorden sollen? Die bloße Tatsache seines Todes mußte doch sofort eine Revision der Bücher zur Folge haben.«
Das war ein überzeugender Grund, den sich Tarling schon selbst vorgelegt hatte.
»Was nun Ihre niederträchtige und absurde Anklage betrifft, daß ich die Firma bestohlen haben soll, so sind augenblicklich alle Bücher in den Händen einer hervorragenden Firma, die alle Unterlagen genau prüfen und alle diese Behauptungen Lügen strafen wird.«
Er hatte seine Fassung wiedererlangt und stand nun breitbeinig da, die Daumen leger in die Armlöcher der Weste gesteckt, und blickte liebenswürdig lächelnd auf den Detektiv herab.
»Ich kann auf das Resultat der Buchrevision mit ruhigem Gewissen warten. Meine Ehrenhaftigkeit wird dann über allen Zweifel erhaben sein.«
Tarling schaute ihn groß an.
»Ich bewundere Ihre Kühnheit«, sagte er und verließ das Büro ohne ein weiteres Wort.
21
Tarling hatte eine kurze Unterredung mit seinem Assistenten Whiteside. Zu seinem größten Erstaunen nahm der Polizeiinspektor den Bericht Ling Chus als wahr an.
»Ich hatte schon immer den Eindruck, daß Milburgh ein frecher Lügner ist«, sagte Whiteside gedankenvoll. »Aber er scheint doch gehässiger zu sein, als ich annahm. Jedenfalls traue ich Ihrem Chinesen weit mehr als Milburgh. Übrigens hat die junge Dame es verstanden, die Beobachter, die wir hinter ihr hergeschickt haben, zu täuschen.«
»Wovon sprechen Sie?« fragte Tarling erstaunt.
»Von Miss Odette Rider. Aber warum ein alter Polizeioffizier wie Sie dabei rot wird, kann ich nicht verstehen.«
»Ich erröte nicht«, entgegnete Tarling abweisend. »Und was ist mit ihr los?«
»Ich hatte zwei Detektive beauftragt, sie zu überwachen«, erklärte Whiteside. »Sie wissen ja selbst, daß sie immer verfolgt wurde, wohin sie auch ging. Gemäß Ihrem Auftrag hatte ich angeordnet, daß diese beiden Wachtposten morgen zurückgezogen werden sollten. Aber als sie heute zur Bond Street ging, war entweder Jackson unverantwortlich nachlässig, oder sie war außerordentlich gewandt. Auf jeden Fall wartete er eine halbe Stunde, daß sie wieder aus dem Laden herauskommen sollte, und als sie nicht erschien, ging er in das Geschäft hinein und konnte nur noch feststellen, daß sich auf der anderen Seite auch ein Ausgang befand, den sie benutzt hatte. Seitdem ist sie nicht wieder im Hotel aufgetaucht.«
»Das gefällt mir nicht.«
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