0143 - Die Schöne aus dem Totenreich
erreicht hatte und atmete auf.
Jetzt kam noch der Abstieg.
Vorsichtig sprang Suko auf das nächste Autodach. Es war durch Staub und Regen ziemlich seifig geworden, und der Chinese rutschte ab, wobei er auf dem Kofferraum landete.
Von hier aus sprang er auf den nächsten Wagen, dann auf den übernächsten, paßte nicht auf, riß sich ein Hosenbein entzwei, holte sich an der Wade eine Schramme, aber er gelangte ansonsten unbeschadet auf der anderen Seite des Berges zu Boden.
Der Chinese hielt sich nicht länger auf. Er wollte so schnell wie möglich weg.
Suko fand einen ausgefahrenen Pfad, der parallel zum Kanal führte und dort endete, wo auch Eisenbahngleise entlangliefen und erste trübe Laternen brannten.
Suko schaute sich um.
Rechts von ihm lag das Gebäude der Kosmetik-Firma. Er konnte sogar das Dach sehen. Dahinter hoben sich Schornsteine und höhere Bauten gegen die Lichtaura der Londoner City ab. Die Innenstadt war zwar weit entfernt, aber der Widerschein leuchtete doch bis in das Hafenviertel.
Nach einem zehnminütigen Lauf fand der Chinese endlich eine Telefonzelle.
Er rief Sir James Powell an, der sich noch im Büro aufhielt. Suko hatte gelernt. Er brauchte eine Minute für seinen Bericht und gab sogar noch Details bekannt.
»Bleiben Sie an der Zelle. Der Alarmplan läuft an«, sagte Sir Powell.
»Jawohl, Sir.«
Suko wartete. Er wußte, daß jetzt die Einsatzreserve mobil gemacht wurde. Die Organisation lief auf Hochtouren. Geschulte und erfahrene Männer standen bereit. Man hatte sie modern ausgerüstet, sogar mit Flammenwerfern. Wenn es sein mußte, dann wurden sie auch eingesetzt, anders konnte man solchen Kreaturen wie Tokata nicht beikommen. Und bisher war er nicht besiegt worden.
Schon bald hörte Suko das Heulen der Sirenen. Von überallher schien es an seine Ohren zu klingen. Starke Scheinwerferstrahlen strichen wie lange Finger über die Pieranlagen und das dahinter liegende Gelände. Ein Wagen raste herbei.
Es war eine schwere Limousine, und Sir James Powell persönlich hockte im Fond.
Der Wagen hatte kaum gehalten, als er die Tür aufstieß und Suko einsteigen ließ.
Der Chinese nahm neben dem Superintendenten Platz.
»Zum Fariac-Labor«, wies der seinen Chauffeur an.
Der Mann gab Gas.
Suko bekam Gelegenheit, Sir Powell genauen Bericht zu erstatten.
Der Superintendent hörte geduldig zu.
»John Sinclair ist wieder verschwunden«, stellte er dann fest.
»Wie ist das möglich?«
»Wahrscheinlich hängt es noch mit der Vampir-Geschichte zusammen«, vermutete Suko.
Sir James nickte. »Möglich, wenn ich es auch nicht so recht glauben kann, wo beide nicht mehr existieren.«
»Ihr Erbe…«
»Falls sie eins hinterlassen haben.«
Daß der Fall ganz anders lag und beide auf dem Holzweg waren, konnten sie nicht ahnen.
Sie waren nicht die ersten, die den Platz vor dem Labor erreichten. Zwei Wagen standen bereits dort. Scheinwerfer erhellten die Umgebung. Die Luft war erfüllt vom Heulen der Sirenen. Schwerbewaffnete Männer standen als Posten.
Andere kümmerten sich um den Toten.
Der zweite Lastwagen aber war verschwunden.
Und damit auch das Blut!
***
Jemand spielte Klavier, und eine Kinderstimme sang dazu: »White Christmas…«
Träumte ich schon von Weihnachten? Oder war bereits der 24. Dezember?
Nein, das nicht, aber der Gesang existierte. Ich hörte ihn auch noch, als ich bereits festen Boden unter meinen Füßen spürte und von einer gewissen Mattheit geplagt wurde. Ansonsten jedoch ging es mir ziemlich gut.
Die Melodie war verstummt. Dafür hörte ich eine andere.
Jingle Bells…
Ich mußte lächeln. Neben mir vernahm ich ein schweres Seufzen.
Der Atlanter hatte es ausgestoßen.
Er war also auch da.
Wie Myxin – und natürlich Kara.
Sie schaute uns an. Ein Lächeln hatte sich um ihre Lippen gelegt, das jedoch verschwand, als sie sich umblickte. Ihr Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an.
»Da scheint einiges nicht zu stimmen«, bemerkte Myxin.
Und ich sagte: »War wohl ein Fehlsprung.«
»Nein, wir sind da. Das ist das Haus der jammernden Seelen. Hier hat der Druide existiert.«
Sie sprach die Worte sehr sicher aus, deshalb enthielt ich mich eines Kommentars. Seltsam war es allerdings schon. Wir standen in einem langen Flur, von dem in genau gemessenen Abständen Türen abzweigten.
Ein Apartmentflur.
Und die Weihnachtslieder klangen hinter einer der Türen auf.
Eine ganz einfache Geschichte.
Das Haus der jammernden Seelen war ein
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