015 - Zombie-Wahn
Wagen machte einen Satz nach
vorn.
Das Winken wurde heftiger. Der
bärtige junge Mann mit dem grün-rot gestreiften Pullover schien nicht glauben
zu wollen, daß sie nicht hielt. Er wollte noch zur Seite springen.
Zu spät!
Es gab einen dumpfen Schlag gegen
die Kühlerhaube. Etwas Dunkles wurde durch die Luft geschleudert.
Chantale de Loire zog unwillkürlich
den Kopf ein, in der Angst, der Körper würde sie doch berühren.
Der Peugeot jagte auf dem holprigen
Weg dahin.
Chantale nahm kein einziges Mal das
Gas weg, erst als die Kreuzung sich im Licht der Scheinwerfer zeigte. Aber
selbst da war sie noch zu schnell, als sie auf die völlig menschenleere Straße
Richtung Montmirail einbog.
Hier gab sie erst recht Gas.
Sie zitterte am ganzen Körper wie
Espenlaub und wollte einfach nicht glauben, was ihr begegnet war.
Erst die Hand aus dem Grab … dann
der vor ihren Wagen rollende Kopf …, schließlich der Fremde, der sie dazu
bringen wollte, stehen zu bleiben …
Was für einen Sinn ergab das alles?
Obwohl sie sich den Kopf darüber
zermarterte, fand sie keine logische Erklärung.
Sie raste auf der regnerischen
Straße Richtung Montmirail. Zwanzig Meter vor dem Ortsschild leitete sie das
Bremsmanöver ein. Ihr Blick ging dabei nach rechts. Dort – unmittelbar hinter
dem letzten Haus auf der anderen Straßenseite – führte ein unbefestigter
Feldweg ins Hinterland. In dieser Gegend, irgendwo außerhalb des Dorfes, lag
der Gutshof ihres Großvaters.
Einen Moment spielte sie mit dem
Gedanken, dorthin zu fahren. Sogar das Lenkrad schlug sie schon in die andere
Richtung ein – aber dann sagte sie sich, daß dies völliger Unsinn war.
Was wollte sie auf dem Gut? Sie war
keine vierzehn mehr. Auf dem Bauernhof lebte niemand mehr, den sie kannte.
Sie mußte in den Ort. Und sie mußte
vor allem auch die Polizeistation verständigen. Was ihr begegnet war, schrie
nach einer Erklärung.
Als die ersten beleuchteten Häuser
aus dem Regen tauchten, hatte Chantale das Gefühl, aus einer anderen Welt zu
kommen.
Die kleine Polizeistation war
gleichzeitig der Amtssitz des Bürgermeisters. Bürgermeister und Polizeichef
waren die gleiche Person. Jedenfalls war es so vor zwanzig Jahren gewesen …
An den gemütlichen Monsieur Jacques
mit dem dicken Bauch und dem kahlen Kopf konnte sie sich noch gut erinnern.
Ob er noch lebte? Ob er das Amt
noch führte?
Das erstere war vielleicht möglich.
Aber er mußte inzwischen wohl auch fünfundsiebzig sein und damit zu alt für
seinen Beruf.
Chantale de Loire fuhr durch die
Hauptstraße. Wie ausgestorben lag alles vor ihr. Der seit Stunden anhaltende
Regen vertrieb die Bewohner in ihre Häuser.
Der Amtssitz des Bürgermeisters und
gleichzeitigen Polizeichefs lag im Herzen der kleinen Ortschaft. Direkt am Marktplatz.
Dort stand auch das einzige Hotel, großartig mit den verblaßten Lettern als
»Grand Hotel« gekennzeichnet. Hier kannte Chantale jedes Haus, jede Straße.
Seit ihrem letzten Aufenthalt vor zwanzig Jahren hatte sich hier nichts
verändert.
Der Amtssitz des Bürgermeisters war
in einem mit einem hohen Torbogen versehenen Fachwerkhaus direkt schräg
gegenüber dem Hotel untergebracht.
Vor dem Eingang des Polizeibüros
stand ein Citroën, durch die kleinen Fenster im Parterre fiel schwacher
Lichtschein.
Schreibmaschinenklappern war zu
hören. Am Ende der Straße fuhr ein Lieferwagen an einem Geschäft vor. Bewegung
entstand auch drüben am Eingang des ›Grand-Hotels‹. Mit kreischenden Pneus
hielt ein weißer Citroën. Ein Mann in weißem Kittel, den Hut tief ins Gesicht
gedrückt und eine Arzttasche unter den Arm geklemmt, eilte die wenigen Stufen
zum Eingang hoch und verschwand hinter der altmodischen Tür.
Diese Dinge bekamen Chantale de
Loires empfindsame Sinne beiläufig mit, ohne daß sie ihr bewußt wurden.
Sie stürzte aus dem Auto. Ihr Haar
war zerzaust und hing naß und wirr in ihre Stirn. Chantale atmete noch immer
schnell und konnte der Erregung nicht Herr werden, die sie gepackt hatte.
Sie stieß die Tür zum Haus auf.
Dahinter kamen nochmal fünf Sandsteinstufen. Dann folgte ein langer, modrig
riechender Korridor mit mehreren dunkel gebeizten Türen, die schon längst einen
neuen Anstrich hätten vertragen können.
Chantale de Loire riß die vorderste
Tür gleich auf, ohne anzuklopfen.
In dem kahlen, nur mit dem
Notwendigsten eingerichteten Büro saß ein ältliches Fräulein, das so grau und
verstaubt aussah wie die Akten in den Regalen, die
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