0151 - Die Gruft der Leichenräuber
trotzdem zurück.«
»Laß mich.«
Werner preßte nach Hermanns Antwort die Lippen zusammen und atmete scharf durch die Nase ein. Die Sache gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte so ein komisches Gefühl. Werner stritt zwar die Existenz von Geistern oder Dämonen ab, trotzdem kam ihm diese verfallene Burgruine nicht geheuer vor.
Irgend etwas Seltsames ging von ihr schon aus, das war nicht zu leugnen.
Zudem wurde es langsam dunkel. Die blasse Sonne war längst verschwunden. Wie ein breites, alles umfassendes Band kroch die dunkelgraue Dämmerung heran.
Bald würde es dunkel sein.
Werner machte einen letzten Versuch. »Wir schaffen unseren Job nicht mehr!« schrie er.
»Dann fahren wir morgen noch mal hierher.« Hermann Deubzer war einfach nicht zu belehren.
Werner wußte nicht, was er machen sollte. Einerseits empfand er wirklich Furcht, etwas, das es bei ihm sonst kaum gegeben hatte, andererseits konnte er seinen Freund auch nicht im Stich lassen.
Der war aber nicht mehr zu sehen. Hermann Deubzer wurde von der Neugierde gepackt. Er wollte unbedingt die alte Gruft finden und ging davon aus, daß sie irgendwo in der Tiefe liegen mußte.
Vorsichtig bewegte er sich am Rand des eingebrochenen Fußbodens entlang. Er konnte einen Blick in die Tiefe und damit in den Keller werfen.
Schaurig war es schon, dort hinunterzuschauen. Der Keller lag tief.
Auf seinem Boden glänzten Pfützen. Ein fauliger Gestank drang bis zu dem Jungen hoch. Er sah aber nicht nur Trümmer, sondern dicke Steinwände, die wohl nie im Leben umfallen würden und die Decke an den Seiten noch trugen.
Doch wo befand sich die Gruft?
Hermann dachte schon daran, umzukehren, als ihm einfiel, daß er noch mal von der Tür der gegenüberliegenden Seite in die Tiefe blicken konnte. Von dort hatte er einen ganz anderen Blickwinkel.
Allerdings war es nicht einfach und ungefährlich, auf die andere Seite zu gelangen. Er mußte über Schutt und Trümmer klettern.
Hermann warf noch einen Blick zum Eingang. Sein Freund war dort nicht aufgetaucht. Er verstand nicht, daß Werner auf einmal solch eine Angst zeigte.
Der Halbwüchsige konzentrierte sich auf seine vor ihm liegende Aufgabe. Er kletterte den ersten Schuttberg an. Auf dem Geröll lag eine dicke Schicht aus Moos und anderem kargen Pflanzenwuchs.
Sogar Gras wuchs schon zwischen den Steinen und Balken. Das gab dem Schutt den Hauch einer trügerischen Sicherheit.
Auch Hermann fiel darauf rein.
Er wurde unvorsichtiger und dachte: Mir kann schon nichts passieren.
Halt suchte er bei vorspringenden Steinen und Kanten. Dann wurde er sogar so wagemutig, daß er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, die Arme seitlich ausstreckte, um so besser die Balance zu halten. Vor sich sah er einen Querbalken. Auf beiden Seiten lag der kopfdicke Balken, er sah ziemlich stabil aus.
Hermann wollte es wagen.
Er federte in den Knien etwas ein, gab sich Schwung und sprang.
Die Distanz zu seinem neuen Ziel überbrückte er spielend. Nur hatte er die Witterungsverhältnisse nicht mit einkalkuliert. Er traf den Balken zwar, kam sogar mit beiden Beinen auf, aber das lange Stück Holz war der plötzlichen Last nicht gewachsen.
Es brach.
Das Splittern klang Hermann Deubzer wie eine grelle Musik in den Ohren. Zu seinem Unglück bewegte sich auch noch der Schuttberg unter dem Balken und geriet ins Rutschen.
Nach links, genau der Öffnung zu.
Hermann versuchte, sich zu fangen. Er verlagerte sein Körpergewicht auf die Gegenseite, ruderte dabei mit den ausgestreckten Armen, doch da war nichts mehr, wo er sich festhalten konnte.
Hermann Deubzer rutschte ab.
Das Gestein löste sich unter ihm, der Balken verlor jeglichen Kontakt, und der junge Mann sah die riesengroße Öffnung im Fußboden rasend schnell auf sich zukommen.
Dann fiel er.
Sein gellender Schrei hallte durch die Trümmerruine der alten Burg und verwehte irgendwo unten in den Gewölben, als gebrochenes, schauriges Echo…
***
Werner Tonagel hatte lange genug um seinen Freund gezittert. Er kam sich plötzlich feige vor, denn er stand am Fuße der Treppe und hatte Hermann allein gehen lassen. Und ein Feigling war er noch nie in seinem Leben gewesen. Vor zwei Jahren hatte er sogar eine Rettungsmedaille verliehen bekommen.
Er hatte einen kleinen Jungen aus einem Löschteich geholt, in den das Kind gefallen war.
Und hier sollte er kneifen? Auf keinen Fall.
Der 17jährige gab sich einen innerlichen Ruck und stieg die Stufen der Treppe hoch. Nicht
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