0153 - Sie nannten sich Löwen und Tiger
zugeben, dass er keinerlei stichhaltige Beweise habe.
»Ich beantrage nochmals, dass der Fall niedergeschlagen und die Angeschuldigten auf der Stelle entlassen werden«, erklärte der Anwalt.
Der Richter sah den Lieutenant an, und dieser hob resignierend die Schultern.
Richter Stone diktierte seinem Schreiber:
»Fäll erledigt. Die Beschuldigten werden mangels Beweises auf freien Fuß gesetzt… Der Nächste bitte.«
***
Vor dem Gerichtsgebäude trennte ich mich von Phil. Er sollte Anwalt Paulsen auf den Zahn fühlen und herauszubekommen versuchen, wer diesen mit der Verteidigung beauftragt hatte. Paulsens Auftreten war selbst für die Angeklagten unerwartet gekommen, das war ganz deutlich ersichtlich gewesen. Er musste seinen Auftrag also von einer dritten Stelle bekommen haben, die großes Interesse daran hatte, dass niemand verurteilt wurde und mehr ausgeplaudert hatte, als nötig war.
Ich selbst wartete auf Margret Hudson.
Das Mädchen hatte mich im Saal nicht bemerkt und war nun gewaltig verlegen, als ich sie anrief.
»Hallo, Margret! Darf ich Sie nach Hause fahren?«
Sie machte Miene, davonzulaufen. Ich fasste ihren Arm.
»Hören Sie, mein Kind. Sie können natürlich gehen, wohin Sie wollen, aber dann bin ich gezwungen, Ihrer Mutter die Wahrheit zu sagen, was ich bisher noch nicht getan habe. Ich hätte nur den Mund aufzumachen brauchen, und Sie wären auf ein paar Monate im Jugendgefängnis und danach in einer staatlichen Erziehungsanstalt gelandet. Ich habe Sie nämlich heute Nacht genau erkannt, als Ihre Freunde versuchten, den Schnapsladen aufzubrechen und Sie selbst darüber ein Freudengeheul ausstießen. Wenn Sie wollen, so gehen wir noch einmal nach drinnen, und ich hole diese Aussage nach. Die andere Möglichkeit ist, dass wir beide zusammen in ein stilles Lokal fahren und Sie aufhören, mich anzulügen. Sie können wählen.«
Ohne ein Wort zu sagen, stieg sie ein. Ich startete und fuhr los. Während der Viertelstunde, die wir unterwegs waren, sprach sie kein Wort. Sie nagte an ihrer Unterlippe, und plötzlich begann sie zu weinen. Ich sah sie mir von der Seite an und stellte fest, dass es weder Angst noch Reue waren, was ihr die Tränen entlockte. Es war einfach Wut. Wahrscheinlich hätte sie mich liebend gern ermordet, aber nicht einmal auf diesen Gedanken konnte sie sich konzentrieren.
Es gab ein viel wichtigeres Problem.
Margret griff zuerst in die rechte und dann in die linke Hosentasche. Erst als sie dann in ihrem Hemd zu suchen begann, wurde mir klar, dass sie kein Taschentuch hatte. In meiner Brusttasche steckte eines, das ich ihr reichte. Sie nahm es, ohne zu danken, und nach ausgiebigem Gebrauch ließ sie es in ihrer Hosentasche verschwinden.
Vor dem Two Lamps Inn hielt ich. Bis auf zwei einsame Gäste an der Theke war das Lokal, jetzt am Morgen, leer. Ich suchte mir den am wenigsten vom Eingang entfernten Tisch aus und fragte:
»Haben Sie schon gefrühstückt, Margret?«
Sie schüttelte verstockt den Kopf, und dass sie mir keinen Korb gab, war wohl nur der Tatsache zuzuschreiben, dass sie gewaltigen Hunger hatte.
Ich bestellte zwei Portionen Schinken mit Eiern und für mich einen Whisky auf Eis.
»Was möchten Sie, Kaffee oder Saft?«, fragte ich.
»Whisky«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
»Gibt es nicht für kleine Mädchen. Bringen Sie der jungen Dame einen Kaffee.« Der Kellner schwirrte ab, und Margret verharrte in Schweigen.
Ich beschloss zu warten, bis sie etwas im Magen hatte und darum besserer Laune war. Inzwischen kamen die Getränke.
»Zigarette?«, fragte ich, bevor ich mir selbst eine ansteckte.
Wieder nickte sie und bediente sich aus meiner Packung. Während ich nach dem Feuerzeug suchte, ergriff sie mein Glas und kippte den Whisky in einem Zug hinunter.
»Danke«, sagte sie herausfordernd und grinste mich höhnisch an.
Ich nannte sie einen Teufelsbraten und einiges mehr, aber das störte sie nicht.
»Jetzt ist mir wenigstens besser«, meinte sie. »Wollen Sie mir nicht endlich Feuer geben?«
Vor so viel Frechheit kapitulierte ich. Es blieb mir nichts anderes übrig, als einen neuen Drink anzufordern, den ich vorsichtigerweise nicht in Reichweite meiner Tischgenossin stellte. Dann kam das Frühstück, und als der Kellner abgeräumt hatte, nahm ich sie mir vor.
»Ich möchte einiges von Ihnen wissen, so zum Beispiel, wie Sie so spät in der Nacht in die Delancey Street und in Gesellschaft von Verbrechern kamen? Vielleicht können Sie mir
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