017 - Der Engel des Schreckens
eine Grasfläche - in Norwood gibt es keine gepflasterten Wege - und in eines der drei Gebäude, die die Patienten beherbergten.
Eine schreckliche Erfahrung für Mr. Briggerland, die ihn aber in bestimmter Hinsicht enttäuschte und auch sein Herz keineswegs brach - das Material war zu solide.
Nach Verlauf von zwei Stunden kamen sie auf einen der großen Spielplätze und beobachteten die weniger gefährlichen Patienten, die dort auf und ab schlenderten. Wächter waren nicht zu sehen, nur ein einziger Mann wurde von zwei kräftigen uniformierten Beamten begleitet.
»Wer ist das?« frage Mr. Briggerland.
»Ein ziemlich trauriger Fall«, erwiderte der Arzt vergnügt - er hatte so manchen ›traurigen‹ Fall in der gleichen Weise auseinandergesetzt. »Es ist ein Arzt namens Dr. Thun, ein unheilbarer Lustmörder. Glücklicherweise fand man das heraus, bevor er nennenswertes Unheil anrichtete.«
»Fürchten Sie nicht, daß einer Ihrer Patienten entwischen könnte?«
»Sie fragten das schon einmal.« Der Arzt war etwas überrascht. »Nein, Sir. Eine Irrenanstalt ist doch kein Gefängnis. Wenn man von dort entfliehen will, hat man unbedingt Hilfe von außen nötig. Aber wer sollte einem Wahnsinnigen zur Flucht verhelfen wollen? Sonst ist es ja leichter, von hier zu entfliehen als aus einem Gefängnis, da wir keine Wächter außerhalb der Gebäude haben und die einzelnen Säle und Zimmer von außen ohne Schlüssel geöffnet werden können. Nachts kontrolliert der Aufseher die Räume alle Stunden, so daß er für andere Dinge keine Zeit hat. Möchten Sie vielleicht mal mit Dr. Thun sprechen?«
Mr. Briggerland zögerte einen Augenblick. »Ja«, sagte er heiser.
Nichts in dem Äußeren des Patienten verriet, daß er in irgendeiner Weise gefährlich sein könnte. Der bärtige Mann mit den merkwürdig blaßblauen Augen streckte dem Besucher die Hand entgegen, die Mr. Briggerlands Rechte mit einem stählernen Griff umschloß. Die beiden Wächter wechselten einen Blick mit dem Arzt und zogen sich dann etwas zurück.
»Sie können ohne Besorgnis mit ihm plaudern«, sagte Dr. Carew halblaut, aber doch nicht leise genug, daß der Patient ihn nicht hören konnte. Er lachte.
»Ohne Furcht, Begünstigung und Voreingenommenheit, nicht wahr? So schwuren die Offiziere beim Kriegsgericht.«
»Der Doktor war der General, der für die Verluste bei Caporetto verantwortlich war«, erklärte Dr. Carew. »Das war doch dort, wo die Italiener so schwere Verluste hatten?« Thun nickte.
»Mich konnte hierbei kein Vorwurf treffen«, erklärte er Mr. Briggerland, nahm dessen Arm und schlenderte mit ihm über die Rasenfläche. In kurzem Abstand folgten Dr. Carew und die beiden Wächter. Mr. Briggerland atmete hastig, als er den muskulösen Arm des Patienten in dem seinen fühlte.
»Schuld an meiner Verurteilung hatte allein die Frau, die sich unter den Richtern befand - entgegen allen gesetzlichen Bestimmungen natürlich.«
»Sie haben recht«, murmelte Mr. Briggerland. »Daß ich hier festgehalten werde, habe ich nur der italienischen Regierung zu verdanken, die natürlich nicht will, daß ich gegen meine Feinde vorgehe. Ich bin überzeugt, die halten sich jetzt in London auf.«
Mr. Briggerland atmete tief auf.
»Sie sind in London«, sagte er etwas heiser. »Zufällig weiß ich genau, wo sie sich aufhalten.«
»Wirklich?« stieß der andere hervor, und dann verfinsterte sich sein Gesicht, und er schüttelte den Kopf.
»Die - sind vor meiner Rache sicher. Solange man mich hier eingeschlossen hält - mit der lächerlichen Begründung, ich sei wahnsinnig -, kann ich nichts unternehmen.«
Der Besucher blickte vorsichtig um sich. Die drei Männer hinter ihnen waren nicht in Hörweite.
»Wenn ich nun morgen wiederkommen und Ihnen helfen würde«, fragte er leise. »Wie wäre das? In welchem Raum liegen Sie?«
»Nr. 6«, versetzte der andere gedämpft, seine Augen flammten.
»Werden Sie es bis morgen nicht vergessen haben?«
Thun schüttelte den Kopf.
»Nr. 6, die erste Zelle links«, flüsterte er. »Sie werden mich nicht im Stich lassen? Wenn ich dächte, daß Sie mich zum Narren halten -« Er funkelte ihn an.
»Verlassen Sie sich darauf«, versetzte Mr. Briggerland hastig. »Punkt zwölf Uhr können Sie mich erwarten.«
»Sie sind sicherlich Marschall Foch«, wechselte Thun plötzlich mit der unheimlichen Verschlagenheit des Wahnsinnigen das Thema, als der Arzt und die beiden Wächter sich näherten - sie hatten die wachsende
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