017 - Der Engel des Schreckens
dem Chauffeur persönlich.
Mordon kannte viele Leute in London, und unter ihnen befand sich eine kleine Französin, die den Brief Mr. Charles Rennett überbrachte. Es war ein Brief, der den alten Herrn veranlaßte, sich wiederholt den Kopf zu kratzen, bis er schließlich einen Bogen nahm und an den Direktor von Lydias Bank schrieb: »Der Scheck ist in Ordnung. Bitte auszahlen.«
Kapitel 30
»Böse Krankheiten verlangen böse Mittel!« sagte Jean Briggerland.
Ihr Vater blickte von seinem Buch auf.
»Was hast du denn heute morgen wieder Lydia erzählt?« fragte er. »Daß Glover spielt? Er war doch nur einen Tag hier.«
»Er war lange genug hier, um eine Menge Geld verlieren zu können«, erwiderte Jean. »Natürlich hat er nicht gespielt, infolgedessen auch nicht verloren. Es war nur eine kleine harmlose Bermerkung von mir - man kann nie wissen, wozu das einmal gut sein kann.«
»Hast du denn Lydia aufgebunden, daß er schwer verloren hat?« fragte er schnell.
»Ich bin doch nicht närrisch. Selbstverständlich nicht! Ich habe nur davon gesprochen, daß beinahe alle jungen Leute die gleichen Dummheiten machen und daß eine Spielernatur ohne Rücksicht auf Beruf und gesellschaftliche Stellung ihrer Leidenschaft schließlich doch die Zügel schießen läßt.«
Mr. Briggerland rieb sich das Kinn. Es gab Zeiten, wo Jeans Pläne weit über sein Begriffsvermögen hinausgingen - und die geistige Anstrengung, die seine Tochter manchmal von ihm verlangte, war ihm verhaßt. Nur eines wußte er genau. Jede englische Post brachte Rechnungen und dringende Geldforderungen. Er scheute sich, die Möglichkeiten, die ihm die Zukunft bot, genauer zu betrachten. Mr. Briggerland war in der unglücklichen Lage eines Mannes, der zahlreiche Pensionäre zu unterhalten hat: Männer und Frauen, die ihm in verschiedenster Weise behilflich gewesen waren und deren Treue voll und ganz von der Regelmäßigkeit seiner Zahlungen abhing.
»Schließlich fange ich auch noch an zu spielen«, sagte er stirnrunzelnd. »Wenn du es nicht fertigbringst, irgendwoher zwanzigtausend Pfund in bar aufzutreiben, werden wir in Schwierigkeiten kommen, Jean.«
»Ja, glaubst du denn, das weiß ich nicht?« fragte sie verächtlich. »Gerade weil ich weiß, daß wir Geld so dringend nötig haben, mußte ich mich zu einem mir sehr unangenehmen Schritt entschließen.«
Erschrocken hörte er zu, während sie ihm erzählte, auf welche Weise sie sich Geld verschaffen wollte.
»Wir geben uns immer mehr in Mordons Hand«, sagte er kopfschüttelnd. »Und das fängt an, mir Sorgen zu machen.«
»Über Mordon brauchst du dir keine Gedanken zu machen.« Ein grausames Lächeln umspielte ihren Mund. »Mordon und ich wollen heiraten.«
Während sie sprach, betrachtete sie aufmerksam die Spitzen ihrer kleinen Schuhe.
Mr. Briggerland sprang auf.
»Was!« kreischte er. »Einen Chauffeur heiraten? Einen Menschen, den ich in der Gosse aufgelesen habe? Du bist verrückt! Der Kerl ist ein Schuft, der schon mehr als einmal den Galgen verdient hat.«
»Na - und wer hat das nicht?« Sie blickte unschuldig zu ihm empor.
»Es ist unglaublich. Es ist Wahnsinn! Wenn ich je hätte denken können -« Es verschlug ihm die Stimme.
Mordon wurde gefährlich. Jean wußte das besser als ihr Vater.
»Nach dem kleinen ›Unfall‹ in der Berkeley Street fing er schon an, lästig zu fallen«, sagte Jean. »Was sagtest du ... wir geben uns mehr und mehr in seine Hand? Das ist richtig; er hat schon einige Anspielungen gemacht und -das gefällt mir nicht. Als er anfing, etwas - zärtlich zu werden, mußte ich mich fügen. Das war immerhin noch angenehmer, als von ihm verraten zu werden. Ob er das getan hätte, weiß ich nicht, aber höchstwahrscheinlich doch.«
»Wann soll denn dieses interessante Ereignis stattfinden?« fragte Mr. Briggerland mit finsterem Gesicht.
»Meine Hochzeit? In zwei Monaten, glaube ich. Wann ist denn eigentlich Ostern? Weißt du, diese Art Leute verheiratet sich vorzugsweise zu Ostern. Ich habe ihn gebeten, unser Geheimnis zu bewahren und es vor allen Dingen nicht dir gegenüber zu erwähnen. Ich hätte auch nicht davon gesprochen, wenn du nicht die Abhängigkeit erwähnt hättest, in der wir uns Mordon gegenüber befinden.« »In zwei Monaten?« nickte Mr. Briggerland. »Laß mich wissen, wann du die Sache beendigt sehen willst«, sagte er entschlossen.
»Es wird sehr bald zu Ende sein. Mach dir bitte keine Kopfschmerzen darüber! Und noch eins, Vater: Wenn du
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