017 - Invasion der Kyphorer
paar Stunden. Natürlich darf niemand Gepäck mitnehmen; es wurde bereits damit begonnen, das Gepäck der regulären Passagiere wieder auszuladen. Dabei hat es wohl einigen Unmut gegeben …«
Chan schnaubte verächtlich. Das war wieder einmal typisch für die Menschen im allgemeinen und die in der Regel extrem reichen Mondtouristen im besonderen. »Wie wählen Sie diejenigen aus, die noch an Bord gehen dürfen?«, fragte er dann.
Hilflos hob Wolseley beide Hände. »Was denken Sie wohl? Das übliche ›Rette sich wer kann, Frauen und Kinder zuerst!‹ kommt hier nicht in Betracht, da es, von den Touristen abgesehen, kaum Frauen und Kinder in der Station gibt – und die Touristen sind bereits an Bord gebracht worden. Also bleibt eigentlich nur die natürliche Reihenfolge: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!«
»Anders ausgedrückt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben … oder der Tod!« Nachdenklich starrte der Überlebensspezialist auf einen der Bildschirme, der die sich vor dem Gebäude drängende Menge zeigte. Nicht mehr lange und es würden die ersten Schüssen fallen.
»Was ist das?«, rief plötzlich Don Jaime und deutete auf einen anderen Bildschirm. Die betreffende Kamera befand sich außerhalb der Mondstation, auf dem Raumhafengelände. Links im Bild war ein Ausschnitt der flunderförmigen PHAETON zu sehen, dahinter, in der Entfernung von einigen Kilometern, die Silhouette eines großen Kraterrandes.
Und dahinter wiederum …
Eine glühende, sich rasch nach allen Seiten ausbreitende Wolke – wie von einer gewaltigen Explosion!
Einer Atomexplosion?
Durchaus möglich , überlegte Chan. Da der Mond nicht wie die Erde über eine Atmosphäre verfügte, konnte sich auch nicht der bekannte »Atompilz‹ bilden; die Ausbreitung der Glutwolke erfolgte hier in alle Richtungen.
Im nächsten Moment durchlief eine Erschütterung das Gebäude – die von der Explosion ausgelöste Bebenwelle hatte die Station erreicht. Wände wankten und einige daran befestigte Bildschirme fielen krachend zu Boden.
Dann herrschte wieder Stille.
»Mein Gott!« Will Henry starrte auf den Schirm – einen derjenigen, die heil geblieben waren –, auf dem unverändert die sich nun langsamer ausbreitende Glutwolke zu sehen war. »Waren das die Invasoren?«
Haiko Chan schüttelte grimmig den Kopf. »Bestimmt nicht! In dieser Richtung liegt die Station des Konzerns ›Freie Seelen‹! Sieht mir ganz so aus, als ob …«
Einer der Interkoms flammte auf und Clint Fishers kantig geschnittenes Gesicht erschien darauf. »Ich erhalte soeben eine Meldung von Guru Ruang Talok«, verkündete er. »In der Mondbasis von ›Freie Seelen‹ hat es einen – ich zitiere – ›Zwischenfall bei der Segnung der Atomraketen‹ geben. Können Sie mir von Ihrem Standort aus Näheres mitteilen?«
»Das kann ich, in der Tat«, antwortete Haiko Chan, ohne den Blick von dem Feuerball zu wenden. »Auf die Unterstützung von ›Freie Seelen‹ beim Angriff auf den Schutzschirm müssen Sie verzichten!« Dann wandte er das Gesicht einem Computerdisplay zu. »Ein Fahrzeug mit fünfzig Evakuierten an Bord hatte die Station vor wenigen Minuten erreicht«, fügte er tonlos hinzu.
Plötzlich stand Ubutu neben ihm. »Bedeutet das, dass der Angriff auf den Schirm abgeblasen ist?«, fragte er.
Mit versteinerter Miene schüttelte der neue Mechanics-Konzernchef den Kopf. »Es bedeutet lediglich, dass unsere Erfolgschancen weiter gesunken sind.«
»Mr. Fisher, ich beschwöre Sie, Sie müssen den Angriff abbl…« Er verstummte mitten im Wort, denn Clint Fisher hatte die Verbindung bereits wieder unterbrochen.
»Das kann er doch nicht tun!« Der UNO-Vertreter schrie seine Wut und Verzweiflung hinaus. »Wer glaubt er denn, wer er ist, dass er so einfach über Leben und Tod entscheidet?«
Die Entwicklung der Ereignisse vor dem Abfertigungsgebäude verhinderte, dass er auf seinen Ausbruch eine Antwort erhielt. In die dicht gedrängt wartende Menge war Bewegung gekommen; wahrscheinlich war das von der gewaltigen Detonation ausgelöste Mondbeben der Funke gewesen, der das Pulverfass hatte explodieren lassen. Schüsse fielen und zwei der Polizisten, die die Menschen bislang mühsam in Schach gehalten hatten, stürzten zu Boden.
Dann gab es kein Halten mehr.
Ein kollektiver Aufschrei brandete durch die Menge und wie ein einziges Wesen bewegte sie sich nach vorne, auf das Abfertigungsgebäude zu. Glas splitterte, Türen barsten und Menschen schrieen. Sekunden später
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