0170 - Entführt in die Schattenwelt
Butler da, die Augen leer. Und doch loderte ein Feuer in ihnen, das darauf wartete, jeden Moment ausbrechen zu können.
Für Larringer stand fest: Higgins war verrückt geworden. Von dem Ex-Butler konnte er sich keine Hilfe mehr erhoffen.
Doch auch der Vertreter zweifelte an dem Rest seines gesunden Menschenverstandes, als er plötzlich das Skelett aus einer scheinbar meterdicken Gesteinsmauer treten sah…
Es war ein abscheulicher Anblick. Um das Knochengerüst hatten sich einzelne Organe und Fleischbrocken erhalten, die dem Skelett einen halbverwesten Eindruck verliehen. Aber diese Weichteile lebten! Fast hatte Larringer den Eindruck, als würden sie sich um das bleiche Knochengestell herum aufbauen! Ein umgekehrter Prozeß zum Verfall, wie er hier überall auftrat.
Das Skelett kam schon auf ihn zu, blieb dann abrupt stehen. Es betrachtete ihn und Higgins genau, dann wandte es sich zögernd um.
Aufatmend versuchte der Vertreter, Higgins wachzurütteln, aber der dürre Ex-Butler blieb seiner tiefen Apathie verhaftet.
Larringer fuhr herum. Hinter dem Skelett glitten zwei weitere Gestalten durch die Mauer der Trutzburg, die sich mit ihren Zinnen und Türmen in den atemberaubend hohen, giftgrünen Himmel reckten. Es waren eindeutig menschliche Gestalten, die da erschienen, eine männliche und eine weibliche, auch wenn die Frau bis zum Becken und der Mann bis zu den Knien von grauen, dicken Panzern bedeckt waren… Körperpanzern, unverrückbar mit der Haut verbunden und keineswegs bloße Bekleidungsteile.
Und die Frau sprach! Larringer konnte sie verstehen. »Da!« rief sie ihrem Gefährten zu. »Zwei Menschen, Karmann! Zwei Menschen!«
Wie von einer Tarantel gestochen sprang Larringer auf. Neue Hoffnung durchflutete ihn. Zumindest war er nicht allein in dieser Alptraumwelt, allein mit einem apathischen, dem Wahnsinn verfallenen Higgins. Gerade noch hatte er sich dieses Schicksal ebenfalls beinahe herbeigesehnt, und nun traf er Menschen, Geschöpfe, mit denen er reden konnte, die genauso froh zu sein schienen, ihn zu treffen, wie es umgekehrt auch der Fall war.
»Hier!« rief er überflüssigerweise, »hier, kommen Sie her zu mir!«, denn die beiden hatten sich schon in Bewegung gesetzt. Larringer rannte auf sie zu, berührte, betastete sie, überzeugte sich davon, daß sie auch wirklich existierten und nicht nur eine Wunschvorstellung, eine Ausgeburt seiner überreizten Sinne waren. Er redete auf sie ein, wie sie auf sie einredeten.
Währenddessen stand das Skelett da und betrachtete eindringlich die Frau, die sich als Eileen O’Shea vorstellte.
Neue Enttäuschung machte sich in Larringer breit. Diese beiden waren genau wie er nichts weiter als Gefangene dieser Schattenwelt. Hatte er sich von ihnen erhofft, einen Rückweg zu der Welt, die er kannte, zu finden, so sah er sich getäuscht.
Dennoch empfand er tiefste Erleichterung, zwei Menschen gefunden zu haben, mit denen er seine Einsamkeit und Furcht teilen konnte.
»Sie hat es also auch erst vor kurzer Zeit in die Schattenwelt verschlagen«, stellte Karmann fest. »Und Sie sind nicht derjenige, den Eldridge« - er deutete auf das Skelett - »töten soll.«
»Eldridge?« sagte Larringer betroffen. »Eldridge?«
Der Industrielle nickte. »In seinem früheren Leben war er Mhyrwidden Eldridge, Oberhaupt derer zu Eldridge Castle.«
»Aber dort wurde ich in diese Schattenwelt versetzt!«
»Ich weiß«, nickte Karmann. »Wir genauso.«
»Was tun wir jetzt?« fragte Larringer.
Karmann zuckte die Achseln. Larringer stellte fest, daß der Panzer des Mannes sich weiter ausgedehnt und nun bereits seine Fußknöchel erreicht hatte. Auch bei Eileen O’Shea ließ sich das Wachsen des Panzers feststellen. Bald würden die beiden völlig von der fremden Substanz überzogen sein.
»Wir warten«, beantwortete der Industrielle die Frage. »Wir warten, bis derjenige kommt, den Eldridge töten soll. Dann sehen wir weiter.«
***
Dazu kam es nicht.
»Achtung!« schrie Larringer und wurde im gleichen Moment von einem Hieb des Skelettes, das einst Mhyrwidden Eldridge gewesen war, zur Seite gewischt. Blitzschnell warf sich das Knochengerüst mit den sich langsam wieder aufbauenden Organen auf Eileen O’Shea.
Mit einer Geschwindigkeit, die Larringer der Frau in dem Panzer nie zugetraut hätte, tauchte sie unter dem Griff der Knochenklauen hinweg und nutzte den Schwung des Skeletts, um es vollends auf den Boden zu werfen. Gerald Karmann sprang herbei und stellte sich
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