0173 - Die Werwolf-Sippe
Gedanken. Das war ein Bluff, das konnte doch nicht sein. Lüge, List und Täuschung.
Niemals war sie die Schwester.
»Du glaubst mir nicht?« fragte Marcel.
Sue schüttelte heftig den Kopf.
»Sag du es ihr, Jovanka!«
»Ich bin seine Schwester.«
Sue drehte sich um, als sie den Satz hörte. Jovanka lächelte.
Vielleicht war es dieses Lächeln, was Sue in ihrer Meinung bestärkte. Sie glaubte den beiden kein Wort. Nein, das waren niemals Geschwister.
Und sie sagte es auch. »Nie!« schrie sie. »Nie seid ihr Geschwister!«
Da griff die Bestie zu. Sue sah, wie der Werwolf seine Pranken hochriß. Dicht vor ihren Augen schimmerten die Krallen. Sue wollte noch wegducken – zu spät.
Marcel schlug bereits zu.
Stoff zerriß knirschend. Sue spürte die scharfen Krallen auf der Haut und hörte das hämische Lachen der Schwester. Sie sah das Blut an ihren Armen und erkannte die Bestie vor sich, die ihr Maul weit aufgerissen hatte.
Zähne schimmerten wie Dolche.
»Ja, friß sie. Töte sie!« kreischte Jovanka, lief vor und stieß Sue an.
Die Geschwister wurden zu wahren Teufeln. Der Fluch des Blutes drang voll durch.
Sue hatte keine Chance. Sue wurde gegen die Bestie katapultiert, die sie sofort umfaßte. Die gewaltigen Pranken drückten erbarmungslos zu. Sie hieben in den Rücken des Mädchens, rissen dort tiefe Wunden, und Sue bog ihren Oberkörper durch. Sie wollte schreien. Der Mund stand bereits offen, als ein Hieb ihr Gesicht traf, der sie auf das Bett schleuderte und in eine tiefe Bewußtlosigkeit riß.
Jovanka hatte zugeschlagen. Sie hielt die Steinfigur noch in der Hand, und ihre Augen funkelten im Blutwahn.
»Jetzt gib ihr den Rest!« keuchte sie. Der Werwolf gehorchte!
***
Wir hatten nicht nur meinen Wagen genommen, sondern auch die Fähre von Dover nach Calais.
Ungefähr zwei Stunden mußten wir über den Kanal schippern, dann hatten wir Frankreich erreicht.
Jane war natürlich mitgefahren. Alles Reden hatte nichts genutzt, sie ließ sich nicht davon abbringen, mich zu begleiten. Der Name Lupina war gefallen, und da reagierte die Detektivin allergisch.
Suko hatte ich ebenfalls mitgenommen, Bill war zähneknirschend zu Hause geblieben. Zudem hatte er seiner Frau versprochen, für eine Woche in Urlaub zu fahren, und das Versprechen mußte er halten.
Es war kein erfreuliches Sommerwetter. Die Küste lag im Dunst.
Sommerwolken hingen ziemlich tief, ein steifer Wind wehte von Westen her und wühlte das graugrüne Meer auf.
Wir hatten uns an Deck begeben, denn der Wagen stand im Bauch der großen Fähre, neben den anderen Fahrzeugen. Sogar einen Zug nahm das Schiff mit und jede Menge Touristen. Wir hatten überhaupt Glück gehabt, denn es war verdammt schwer gewesen, einen Platz zu bekommen.
Suko hockte auf einer Bank und schaute auf die Wasserfläche. Er entspannte sich.
Jane stand neben mir.
Sie hatte Angst vor der Seekrankheit.
»Dann geh lieber nach unten«, sagte ich.
Die Detektivin wandte mir ihr blasses Gesicht zu. »Noch geht es ja.«
»Soll ich dir eine Tüte holen?«
»Hör auf, John.«
Ich zuckte die Schultern. »Da meint man es gut und bekommt nur Nackenschläge. Mitleid habe ich nicht. Du hättest ja zu Hause bleiben können.«
»Und du wärst wieder zum Werwolf geworden.«
»So etwas passiert mir nur einmal.«
»Da bin ich nicht sicher.«
Jane wollte noch etwas hinzufügen, das ging nicht. Ihr Magen hatte was dagegen. Sie wurde noch blasser, Schweiß sammelte sich auf der Stirn, und sie schluckte.
Ich stützte sie. »Komm, ich bringe dich unter Deck. Dort sind die Toiletten.«
Sie nickte nur. Suko schaute uns nach. Zu sagen brauchte ich nichts, er wußte auch so, was mit Jane los war.
Die Fähre war ziemlich groß. Zahlreiche Menschen begegneten uns. Ich sah, daß Jane nicht die einzige war, der es schlecht ging.
Auch andere Fahrgäste liefen mit bleichen Gesichtern durch die Gänge und suchten die Toiletten auf.
Jane fand eine freie Kabine. Sie stürzte hinein, und ich wandte mich ab.
Besonders ging es mir auch nicht. Aber mir war nicht so übel, daß der Magen wieder hochkam. Im Moment befand ich mich auf dem Unterdeck. Dort standen auch die Wagen, und den Zug sah ich ebenfalls. Musikfetzen erreichten meine Ohren. Ein Deck höher gab es den großen Unterhaltungsraum mit einer riesigen Bar. Dort war immer der Teufel los, wie man so schön sagt, denn es gab auch Leute, denen eine Seefahrt über den Kanal nichts ausmachte.
Ich hatte keine Lust, mich in einen
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