0178 - Wir spielten mit dem Feuer
seinen Körper ging, merkten wir, dass er weinte. Aber er weinte auf eine unheimliche, gespenstische lautlose Art.
***
Die Kneipe nannte sich Lancolms Inn und lag in unmittelbarer Nähe des Chatham Square. Wir hatten uns bei einem anderen Polizisten des Reviers danach erkundigt und standen kurz vor sieben vor der Tür des Ladens.
Es war eine Spelunke, in der Matrosen, Chinesen aus der nahen Chinatown, Mischlinge aller Rassen und Mischungen und wohl auch Gangster verkehrten. Leider kann man ja seinen Mitmenschen nicht an der Nasenspitze ablesen, ob sie Verbrecher sind oder nicht. Aber einige der Figuren, die uns drinnen über den Weg liefen, hätten sich auf einem Steckbrief vorzüglich gemacht.
Wir bahnten uns unseren Weg an voll besetzten Tischen vorbei, zwischen kreischenden Damen zweifelhafter Herkunft hindurch und an schwankenden Männern vorüber, die kaum noch das Whiskyglas halten konnten. Mithilfe von Bambusrohr-Wänden hatte man die ganze Bude in zahllose kleine Käfige unterteilt. Die Lampen waren mit Lampions in den fantasiereichsten Formen und Farben verhängt. Das Licht war dementsprechend gedämpft.
Irgendwo in einer Ecke, wo man sie vom Eingang her noch nicht sehen konnte, lärmte eine Band von vier oder fünf Instrumenten, die jedenfalls sehr laut waren, wenn man auch nicht immer wusste, was sie eigentlich spielten. Und über allem hingen die Rauchschwaden, die Ausdünstungen vieler schwitzender Körper und der Geruch von abgestandenem Bier und umgeschüttetem Brandy.
An der Theke ließen wir uns eine Büchse Bier geben, weil man dabei immer noch am besten wusste, was man bekam. Eine aufgetakelte Blondine schob uns die beiden Büchsen und zwei Gläser mit herablassendem Blick zu. Ihre freundlichen Blicke brauchte sie für einen jungen Dachs, der sich mit Sekt volllaufen ließ. Wahrscheinlich würde er am nächsten Morgen verkatert auf irgendeinem Polizeirevier sitzen und das Geständnis ablegen, dass er mit der Portokasse seines Chefs durchgebrannt sei.
Wir schenkten uns selber das Bier ein und tranken langsam. Phil hielt mir sein Zigarettenpäckchen hin. Ich bediente mich und gab ihm und mir Feuer.
»Wir hätten uns umziehen sollen«, sagte Phil leise.
»Richtig«, erwiderte ich. In dieser Bude musste man ja auffallen, wenn man einen vernünftigen, sauberen Anzug mit Krawatte trug.
Eine ganze Weile standen wir an der Theke und beobachteten die Leute rings um uns. Die Blondine schielte gelegentlich zu uns herüber. Wir gaben uns keinen Illusionen hin. Ihr Blick galt bestimmt nur unseren Biergläsern. Aber wir nahmen uns Zeit.
Die Theke war gut fünfzehn Yards lang. An der hintersten Ecke sorgte ein Gestänge dafür, dass die Gäste dort nicht auch noch herumstanden, sondern die Kellner ihre Bestellungen abgeben und in Empfang nehmen konnten. Die Kellner mussten für alles, was sie holten, sofort bezahlen. Eine Frau von etwa fünfzig Jahren mit dem Körper eines Freistilringers thronte hinter einer Registrierkasse und nahm den Kellnern das Geld ab. Die Kasse bimmelte ununterbrochen.
Die Zwölfyardtheke, die nicht den Kellnern gehörte, war belagert von zwei Dutzend Männern. Meistens gehörten zwei oder drei zusammen. Aber es gab auch ein paar Einzelgänger, die sich in Ruhe betranken. Plötzlich entdeckte ich unseren Monokel-Beerdigungsunternehmer mitten unter einer Gruppe von laut grölenden Matrosen. Allerdings schien er nur versehentlich unter sie geraten zu sein.
Ich beobachtete ihn, wie er heftig auf einen Mann einredete, der die Aufsicht hinter der Theke zu führen schien. Endlich wurden sie sich einig. Der Thekenfritze griff in eine Kasse hinter sich und zählte Geld ab. Er blätterte es dem Monokel-Onkel in die Hand. Es schien nicht wenig zu sein. Vielleicht hatte unser Mann einen Sarg geliefert und war gekommen, um die Rechnung zu kassieren.
Wir bestellten nun doch unsere zweite Lage Bier. Da wir, wenn wir Pech hatten, den ganzen Abend hierbleiben mussten, bevor uns etwas auffiel, hatten wir beschlossen, Bier zu trinken. Auch ein G-man hat Grenzen, wie viel Alkohol er sich zumuten darf.
Es war halb neun, und wir waren bei der vierten Büchse, als Phil mich anstieß: »Sollten wir nicht versuchen, irgendwo einen Sitzplatz und die Sympathie eines Kellners zu erwerben? Hier an der Theke scheint sich doch nichts abzuspielen.«
Ich setzte mein Bierglas ab und hielt den Kopf gesenkt. Der Lärm rings um uns war laut genug, dass man sich halblaut unterhalten konnte, ohne fürchten zu
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