0179 - Der unheimliche Ritter
müssen.
Jetzt hob er den rechten Arm und öffnete die Hand.
Etwas raste blitzend heran. Er umschloß es mit den Fingern und hielt sein Amulett in der Hand.
Mit ironischem Grinsen hängte er es sich wieder vor die Brust. Wahrscheinlich, überlegte er, würde Henner Pol jetzt Augen machen wie ein liebeskranker Uhu.
Zamorra fuhr wieder an. Obwohl er vorher leicht über den versuchten Diebstahl hinweggegangen war, fühlte er sich jetzt doch erheblich sicherer.
***
Nicole Duval hatte in der Zwischenzeit das Dorf im Tal erreicht. Es war ziemlich klein und gehörte zu jener Sorte, die eine Kirche, drei Häuser, ein Wirtshaus und zwanzig Spitzbuben besaß und wo jeder jeden kannte.
Nicole sah sich nach den Telefonmasten um. Sie hatte Glück; gleich das erste Haus war mit einem Anschluß gesegnet, wenn sie die Masten und die Kabel richtig deutete.
Es wurde abend. Und damit wurde es gleichzeitig Zeit zum Handeln. Entschlossen durchquerte sie das Vorgärtchen und betätigte dann den massiven Klopfer an der Tür, der die Klingel ersetzte.
Schlurfende Schritte ertönten, und eine mürrische Stimme knurrte bereits von weitem: »Du brauchst dich gar nicht zu bemühen, Gaston. Du bekommst nichts mehr! Ich bin doch keine Verleih-Anstalt!«
Nicole lächelte unwillkürlich.
»Ich bin nicht Gaston«, rief sie, »und ich möchte auch nichts leihen.«
»Ja dann herzlich willkommen«, grunzte der Mann hinter der Tür, riß sie auf und starrte dann überrascht auf die Erscheinung, die Nicole in ihrem langen weißen, verschiedentlich von Dornen und Zweigen aufgerissenen und inzwischen fleckenübersäten Kleid bot. Für vornehme Besuche und Empfänge gedacht, hatte es die überstandenen Abenteuer und Klettertouren durch die hängenden Gärten und Wiesen nicht sonderlich gut überstanden.
»Mon Dieu, sind Sie unter die Räuber gefallen?« stieß der Mann hervor, der erstaunlich gepflegt gekleidet und trotz der Abendstunde frisch rasiert war. Er mochte fünfzig Jahre zählen und schob einen leichten Wohlstandsbauch vor sich her. Aus den Augenwinkeln erhaschte Nicole noch einen Blick auf den schwarzen Citroën CX in der offenen Garage. Hier hatte sich die Armut wahrhaftig nicht einquartiert.
»Ich muß dringend telefonieren«, bat Nicole. »Darf ich Ihren Apparat benutzen?«
»Selbstverständlich«, sagte der Mann. »Ich bin Pierre Laqua. Der Apparat steht im Wohnzimmer. Wenn Sie mir bitte folgen möchten, Madame…«
»Duval«, stellte sie sich knapp vor.
»Sie sehen ja entsetzlich aus. Ich glaube, Marie wird Ihnen ein Kleid herauslegen. In diesem Fetzen können Sie sich ja nirgends sehen lassen!« Er war vorausgegangen, griff nach dem Hörer und wollte bereits mit einem fragenden Blick auf Nicole die Polizei anwählen. Nicole schüttelte den Kopf. »Darf ich?«
Leicht erstaunt reichte er ihr den Hörer. Er schien sie für das noch einmal rechtzeitig geflohene Opfer einer versuchten Vergewaltigung zu halten. Um so überraschter war er, als er erkannte, wen sie anwählte.
»Das Schloß?«
Sie nickte. »Sie kennen die Nummer?«
»Wir liefern öfters elektronische Geräte dorthin«, sagte er und gab damit seinen Beruf bekannt. Kein Wunder, daß er gut verdiente…
Mitten im Freizeichen wurde der Ton unterbrochen. Die Leitung war wie tot. Leicht überrascht wollte Nicole erneut wählen, aber auch der Dauerton fehlte.
»Nanu?« Sie legte den Hörer auf, wartete einige Augenblicke und versuchte es noch einmal. Die Leitung war tot, aber als sie probeweise irgendeine beliebige Nummer anwählte, funktionierte die Verbindung. Ehe der fremde Teilnehmer sich melden konnte, drückte Nicole die Gabel nieder und wählte die Notrufnummer der Polizei.
Erneut erwies die Leitung sich als tot.
»Ja, gibt’s denn das? Nach irgendwo komme ich durch, nicht aber zum Schloß und auch nicht zur Polizei?«
»Ist auf dem Schloß etwas passiert?« fragte Pierre Laqua.
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Nicole. Noch einmal versuchte sie zu telefonieren, diesmal nach Château Montagne.
Wieder war die Leitung tot!
Da kam ihr erstmals der Verdacht, unter telepathischer Beobachtung zu stehen, und derjenige, der sie überwachte, schien darüber hinaus mit Telefonanschlüssen spielen zu können wie mit Billardkugeln.
Als sie es gedacht hatte, waren sie im großen Wohnzimmer des dörflichen Häuschens zu zweit nicht mehr allein.
Über den zeitlosen Weg hatten zwei Ausgemergelte sie erreicht!
***
Auf Jaques’ Anordnung hin war Louis Garcier
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