0183 - Der Mann, der das Grauen erbte
stehen. Das dachte die Polizei wohl auch.« Er stand auf, goß sich nach und setzte sich wieder. »Sie haben jeden Stein umgedreht, ohne etwas zu finden.«
»Trotzdem werde ich es mir morgen ansehen«, murmelte Zamorra.
»Ich bringe Sie hin«, erbot sich Steven.
»Außerdem«, sagte Martens plötzlich, »ist Beren verschwunden.«
»Beren?« Steven runzelte die Stirn. »War das nicht dieser Saufbold?«
»Nein. Du meinst Clavers. Aber die beiden hingen ja wohl ständig zusammen. Man erzählt sich, daß sie an dem betreffenden Abend in der Gegend gesehen worden sind. Die Polizei hat Clavers vernommen, aber sie haben ihn laufenlassen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß er etwas mit einem Mord zu tun hat. Er ist ein Ganove, aber kein Mörder. Genausowenig wie Beren.« Er stand auf, reckte sich und schlurfte zur Tür. »Verzeihen Sie, wenn ich mich zurückziehe -aber ich bin müde. Steven wird Ihnen Ihre Zimmer zeigen.« Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und zog die Tür hinter sich ins Schloß.
»Es scheint, wir haben den richtigen Augenblick erwischt«, witzelte Bill, »um die Beschaulichkeit des Landlebens zu genießen.«
Steven nickte schuldbewußt. »Tja. Kein sehr angenehmes Thema am ersten Abend.« Er lächelte unsicher. »Allmählich verstehe ich die Leute.«
»Was für Leute?« fragte Nicole neugierig.
Steven zuckte mit den Schultern. »Och - nur so. Die Gegend dort unten genießt keinen sehr guten Ruf. Wahrscheinlich ist Monty deshalb auch dorthin gefahren - tut mir leid um den armen Kerl. Sie wissen ja, wie die Leute hier auf dem Lande sind… angeblich soll es dort unten nicht mit rechten Dingen zugehen. Blödsinn, wenn Sie mich fragen.«
»Was heißt: nicht mit rechten Dingen?« wollte Bill wissen.
»Ach, dummes Gerede. Man meidet die Gegend halt. Es ist auch ein bißchen… seltsam dort.«
»Seltsam?« In Zamorras Stimme lag ein gespannter, lauernder Unterton.
»Sie werden es sehen, wenn wir hinfahren«, schloß Steven.
***
Clavers war nervös. Seit dem schrecklichen Erlebnis vor drei Abenden waren seine Nerven kaum mehr zur Ruhe gekommen. Er hatte versucht, sich mit Alkohol zu beruhigen, aber der gewünschte Erfolg war ausgeblieben. Im Gegenteil - wenn er sich betrank, schien alles nur noch schlimmer zu werden. Und außerdem hatte er zwei sehr unangenehme Stunden mit der Mordkommission verbracht, die aus der Stadt angereist war. Einzig die Tatsache, daß ein normaler Mensch gar nicht fähig gewesen wäre, Jakobson so zuzurichten, hatte ihn vor der Verhaftung bewahrt. Und Beren war verschwunden geblieben. Er hatte fast zwei Stunden gewartet, bis seine Nerven nicht mehr mitgespielt hatten, und war dann schweren Herzens zurückgefahren. Aber Beren war auch am darauffolgenden Tag nicht erschienen, und auch am nächsten nicht. Die Vermutung, daß er etwas mit Jakobsons Tod zu tun hatte, war in Clavers zur Gewißheit geworden. Warum sollte er sonst weggelaufen sein?
Clavers sah zum hundertsten Mal an diesem Abend auf die Armbanduhr. Brown hätte längst hiersein müssen. Sie waren für sieben verabredet gewesen, und jetzt war es kurz vor acht. Die Dämmerung brach herein.
Clavers Blick wanderte nervös über den Waldrand. Seit dem Erlebnis vor drei Tagen hatte er Angst vor der Dunkelheit, auch wenn er das nicht zugeben wollte. Aber in seinem Zimmer brannte immer Licht, selbst wenn er schlief, und wenn er nach Dunkelwerden aus dem Haus mußte, dann versuchte er, auf der hell erleuchteten Hauptstraße zu bleiben.
Angst. Ja, Clavers hatte die Bedeutung des Wortes kennengelernt. Seit drei Tagen wußte er, was es bedeutete, in jedem Schatten eine Bedrohung zu sehen, hinter jeder finsteren Ecke ein Alptraumungeheuer zu vermuten, bei jedem unverhofften Geräusch zusammenzuzucken.
Eine Gestalt trat aus dem Waldrand und kam mit langsamen Schritten auf den Wagen zu. Brown.
Èr trug den gleichen schwarzen Anzug wie beim ersten Mal, die gleichen schwarzen Lederhandschuhe und die gleiche Strumpfmaske über dem Gesicht. Bei ihrem ersten Zusammentreffen war Clavers die Verkleidung lächerlich vorgekommen; jetzt empfand er sie als Bedrohung.
Er stieg aus dem Wagen, tastete mit verstohlenen Bewegungen nach dem Revolver in seiner Jackentasche und ging der Gestalt entgegen.
»Haben Sie das Buch?« schnappte Brown, als sie sich gegenüberstanden.
Clavers schüttelte unwirsch den Kopf. »Nein«, fauchte er. »Sie wissen doch, was passiert ist, oder?«
Brown nickte. Seine Gesichtszüge wirkten
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