0186 - Höllenfahrt um null Uhr zehn
Hershey wußte zwar nach meinem Anruf aus Harrisburg, daß wir in diesem Hotel waren. Aber er kannte unsere neuen Namen nicht. Außerdem hatte er strikten Befehl, uns nicht anzurufen. Wenn etwas Dringendes war, sollte er den hiesigen Sheriff anrufen, ihn unterrichten und bitten, sich unauffällig mit uns in Verbindung zu setzen.
Ich ging zum Empfangstisch und tastete im Dunkeln nach der Hand von Gosser, die mir den Hörer hinhielt. Als meine Finger seine Hand zufällig auf der Innenfläche berührten, fühlte ich, daß er im Handteller schwitzte. Ich nahm angewidert den Hörer, preßte ihn ans Ohr und sagte: »Ja? Hier spricht Jails!«
»Nennen Sie Ihre Nummer!« sagte eine männliche Stimme.
Das konnte nur Washington sein. Wenn wir aufgefordert werden, unsere Nummer zu nennen, handelt es sich um die Nummer des Dienstausweises, die jeder G-man auswendig kennen muß. Diese Nummer ist identisch mit der Nummer in der Besoldungsliste, mit der Nummer in unserer sternförmigen Marke, mit der Nummer auf unseren Personalakten und eben mit allem, das zu uns dienstlich gehört und eine Nummer trägt.
Ich betete die komplizierte, durch Striche und eingefügte Buchstaben unterteilte Nummer herunter.
»Okay«, sagte die männliche Stimme. Sie dachte immer noch nicht daran zu melden, mit wem ich eigentlich sprach. Unsere Leute in Washington haben das so an sich, weil vorsichtshalber immer damit gerechnet wird, daß ein Gespräch abgehört werden könnte.
»Sie haben uns drei Anfragen geschickt! Die Antwort geht sofort nach diesem Gespräch an das Office, von wo aus die Anfrage kam. Sie können dort das Fernschreiben abholen. Nur soviel: alle drei Sorten stehen auf der Importliste unter Ziffer eins. Soll ich’s erklären?«
Importliste bedeutete, daß die drei Personen gesucht wurden. Daß sie unter Nummer eins standen, hieß nichts anderes, als daß sie in der Rubrik Kapital- und Schwerverbrechen einzureihen seien. Ob er es mir erklären sollte, war eine Umschreibung dafür, ob er frei sprechen könne.
»Nein, danke«, sagte ich. »Ich habe es auch so verstanden. Sie stehen auf der Importliste unter Nummer eins. Na schön, dann will ich versuchen, ob ich sie auf treiben kann. Ich melde mich wieder.«
»In Ordnung! So long, Jails!«
»Wiederhören.«
Ich ließ den Hörer nachdenklich zurück auf die Gabel sinken, die ich nach kurzem Tasten in der Finsternis fand.
Gosser, Haily und Chackson waren also gesuchte Schwerverbrecher. Ein interessanter Fall. Aber konnten die drei auch identisch mit dem Liebespaarmörder sein?
Selbst wenn Gosser, der ja in der Nähe stand, den Inhalt des Gesprächs mitangehört hatte, konnte er nichts damit anfangen. Ich war Handelsvertreter in seinen Augen. Also war es nur natürlich, daß ich von Importlisten sprach.
Wenn Phil nur zurückkäme! Und Norton! Damit endlich das Licht eingeschaltet wurde. Im Dunkeln war es zu riskant, den drei Burschen unsere Ausweise auf den Tisch und die Handschellen um die Arme zu legen. Außerdem mußten wir uns vorher noch vom Sheriff Handschellen ausleihen. In meinem Jaguar lag nur noch ein Paar.
Zu all diesen Gedanken hatte ich vielleicht ein paar Sekunden gebraucht, wenn es überhaupt so lange dauerte. Aber diese kurze Zeit reichte aus, um mich aus meinem Wölkenkuckucksheim zu stürzen. Urplötzlich spürte ich einen bohrenden Druck in meinem Rücken. Gössers Stimme war da. Sie hatte jetzt einen höhnischen, gefährlichen Unterton: »Nehmen Sie die Pfoten hoch, Jails! Ganz schnell, sonst mache ich ein Sieb aus Ihnen!«
Ich zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Dann steckte ich die Arme zur Decke. Es wäre Selbstmord gewesen, sich in der Dunkelheit, ohne selbst eine Pistole zu haben, mit ihm anzulegen.
***
Sheriff Plachnow hatte sich an diesem Abend entschlossen, seinem Kollegen in Hershey einen Besuch abzustatten. Offengestanden trieb ihn mehr der Wunsch, die beiden G-men Cotton und Decker in Hershey zu sehen, weil er von ihnen hören wollte über den Stand der Liebespaarmörder-Sache.
Er traf Sheriff Stephan in seinem Office und war ein wenig enttäuscht, als er sie dort nicht vorfand.
»Tag, Stephan«, sagte er. »Scheußliches Wetter, was?«
»Ja, das kann man wohl sagen. Setzen Sie sich, Plachnow! Tasse Kaffee?«
»Immer.«
Stephan schenkte aus der großen Blechkanne ein und schob die Tasse seinem Besucher hin. »Gibt’s bei Ihnen was Neues?« fragte er dabei.
»Nicht viel«, meinte Plachnow und schlürfte den heißen Kaffee. »Die
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