0188 - 7 Uhr - die Stunde des Todes
aufatmete, während der Mann dankbar nickte.
»Der Fall«, sagte ich, »wird mysteriös durch den Umstand, daß eine als vollzogen angekündigte Entführung also in Wahrheit gar nicht passiert ist. Wie ist ein solcher Widerspruch möglich?«
Ich klopfte die Asche meiner Zigarette am Aschenbecher ab, dachte einen Augenblick und berichtete weiter. »Kidnapper bereiten ihre Tat sorgfältig vor. Da auf Kindesentführung die Todesstrafe steht, wollen sie nichts riskieren. Wir dürfen also auch in unserem Fall von der Überlegung ausgehen, daß Familie Scotty sorgfältig beobachtet worden ist, bis man herausgefunden hatte, welche Zeit für eine Entführung des Kindes am günstigsten war.«
Gegen meine Bitte unterbrach mich Snubbish wieder: »Ich will Ihnen ja keine Vorwürfe machen, G-man. Aber wäre es nicht besser, wir würden was Vernünftiges tun, statt hier herumzusitzen und schöne Theorien zu erzählen?«
»Sie glauben ja gar nicht, wie intensiv wir uns mit diesem Fall beschäftigen«, erwiderte ich lächelnd. »Lassen Sie mich nur weitermachen! Wir waren bei dem Punkt, daß Kidnapper den Zeitpunkt der Entführung sorgfältig planen würden. Da der Brief heute früh ankam, ist anzunehmen, daß der Junge heüte morgen entführt werden sollte. Oder gestern abend. Ich selbst tippe darauf, daß es heute früh geschehen sollte.«
»Und wie kommen Sie zu dieser Vermutung?« wollte Snubbish wissen.
»Weil der Brief durch Eilboten zugestellt wurde. Der Kidnapper wollte die Eltern schnellstens von der Entführung unterrichten, damit er verhindern konnte, daß die Eltern zur Polizei gingen, sobald sie den Jungen vermißten.«
»Das muß doch jedem Kindskopf einleuchten, daß der Entführer keinen Wert darauf legt«, meckerte der Alte.
»Wir dürfen also annehmen«, setzte ich meine Überlegungen fort, »daß der Kidnapper das Kind, kurze Zeit bevor der Brief ankommen konnte, entführen wollte. Es müssen also zwei Mann mindestens am Werk gewesen sein. Einer, der zu einer bestimmten Zeit den Brief aufgab, und ein anderer, der etwa zur gleichen Zeit die eigentliche Entführung durchführen wollte.«
»Das ist einleuchtend, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die Eltern schnellstens von dem Kidnapping erfahren sollten«, nickte Marvin Scotty.
»Jetzt wollen wir mal die Tätigkeit dieser beiden Männer unter die Lupe nehmen«, sagte ich. »Der Mann, der den Brief aufgibt, ist kaum zu ermitteln. Er wirft den Brief in einen Schlitz bei einem Postamt, um die Gewähr zu haben, daß das Schreiben bald gefunden und als Eilbote behandelt wird. Niemand auf der Post, so sollte man annehmen, wird imstande sein können zu sagen, wer den Brief aufgab. Lassen wir diesen Mann zunächst mal beiseite! Kümmern wir uns um den eigentlichen Kidnapper! Er muß zwei Eigenschaften haben: Erstens muß er mit den Verhältnissen der Familie Scotty einigermaßen vertraut sein. Kein Kidnapper entführt ein Kind, bevor er sich davon überzeugt hat, daß die Eltern überhaupt ein Lösegeld zahlen können. Das Risiko bei diesem Verbrechen ist viel zu groß. Unser Mann muß zu dem Kreis der Menschen gehören, die wissen, daß Mrs. Scotty kürzlich die immerhin recht ansehnliche Summe von 16 000 Dollar erbte. Und zweitens muß der Kidnapper eine Gelegenheit gekannt haben, bei der er den Jungen entführen konnte, ohne großes Aufsehen zu erregen. Wir wissen aber, daß diese Tat für heute früh geplant war. Nun, wo ist der Junge gewöhnlich in der Zeit zwischen halb acht und halb neun Uhr morgens, Mrs. Scotty?«
»Um halb acht geht er immer zur Schule«, erwiderte die Mutter achselzuckend. »Wenn nicht gerade Ferien sind.«
»Also, um halb acht. Der Kidnapper braucht nur ein paar Tage das Haus zu beobachten, um diesen Umstand bereits zu kennen. Nehmen wir also an, er wollte den Jungen entführen, nachdem der das Haus verlassen hatte, um zur Schule zu gehen. Unterwegs hat er die Möglichkeit, sich an den Jungen heranzumachen. Vielleicht wird ihm das sogar deshalb sehr leichtfallen, weil er dem Jungen bekannt ist! Das wäre doch immerhin möglich. Aber sehen wir weiter: Der Kidnapper plante für heute früh die Entführung. Er wußte, daß der Junge jeden Morgen um diese Zeit zur Schule geht. Und er wußte, daß sein Komplice zwischen acht und neun Uhr den Brief oben beim Postamt einstecken würde. Alles war also vorbereitet. Er würde das Kind entführen, und etwa eine halbe Stunde später würde ein Postbote bereits den Eilbrief bei den
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