0195 - Eine schaurige Warnung
wirklich ein Wolf? Paßte der Begriff Wölfin nicht viel besser?
Ich glaubte inzwischen fest daran, es mit Nadine Berger zu tun zu haben. Sie mußte es einfach sein, denn die Augen sprachen Bände.
Zudem erinnerte ich mich noch zu genau an die seltsamen Ereignisse auf Nadines Beerdigung, die innerhalb des geheimnisvollen Klosters dann die Auflösung fanden. [4] Endlich kam ich zur Ruhe.
Auf dem Rücken blieb ich liegen. Das Gras wuchs so hoch und war auch mit Farnkraut vermischt, daß mein Körper kaum zu sehen war, weil er abgedeckt wurde.
Langsam setzte ich mich auf. Obwohl ich vorsichtig war, traf mich der Schwindel dennoch. Ich mußte abwarten. Und zwar so lange, bis sich mein Kreislauf wieder beruhigt hatte.
Die Wölfin hockte vor mir. Trotz des Nebels konnte ich sie erkennen. Sie saß einfach zu dicht bei mir.
Ja, das war sie. Eindeutig. Ich täuschte mich nicht. Das war genau die Wölfin, die ich auch in Irland gesehen hatte, als wir das geheimnisvolle Dorf verließen. Auch dort hatte der Nebel dick wie Watte gelegen, und dort hatte ich in die gleichen grünen Augen geschaut.
Ich schluckte, setzte noch zweimal an und kam erst dann dazu, eine Frage zu stellen.
»Nadine?« hauchte ich.
Die Wölfin sträubte ihr Fell. Sie schien gespürt zu haben, daß ich Bescheid wußte.
»Nadine Berger?«
Nickte sie, oder kam es mir nur so vor? Ein Schauer lief über meinen Rücken. Die Ausläufer eines Lichtstrahls trafen das Tier.
Sein Fell leuchtete an der Stelle gelblich auf.
»Komm, Nadine!« flüsterte ich. »Bleib an meiner Seite. Bitte, ich nehme dich mit!«
Die Wölfin riß ihren Rachen auf. Ich sah für einen Moment die Zähne, empfand jedoch keine Angst davor, dann warf sich das Tier herum und verschwand mit langen Sätzen.
Es brach in das Unterholz hinein, und aus diesem vernahm ich auch ein letztes langgezogenes Heulen.
Ein Abschied!
»Nadine!« schrie ich. »Nadine, ich…«
Nein, sie kam nicht zurück. Sie floh, sie rannte weg. Sie wollte es einfach nicht.
Ich saß wie ein Geschlagener am Boden und preßte beide Handflächen gegen mein Gesicht. Etwas kratzte in meinem Hals, in der Kehle saß ein Kloß, und als mich abermals die Erinnerungen übermannten, mußte ich mich verdammt zusammenreißen, um an den neuen Fall zu denken.
Der hieß Abrakim!
Er war entkommen. Sicherlich lauerte er irgendwo im Hinterhalt.
Einmal hatte er es nicht geschafft, mich zu besiegen. Ich war jedoch sicher, daß er nicht aufgab.
Und Suko fiel mir ein.
Himmel, was mußte er nur denken! Die Zeit, die wir abgemacht hatten, war längst überschritten. Ich hatte mich nicht gemeldet, und mein Partner nahm sicherlich das Schlimmste an.
So schnell es ging, stand ich auf und sammelte meine Waffen ein.
Auch die Taschenlampe nahm ich wieder mit. Einen letzten Blick warf ich auf das Seil, das zerbissen und zusammengerollt vor dem Baumstamm lag. Fast wäre dieser Baum zu meiner letzten Ruhestätte geworden, wenn nicht die Wölfin dagewesen wäre, zu der meine Gedanken immer wieder zurückkehrten.
Ich war sicher, daß dies nicht unsere letzte Begegnung war.
»Mach’s gut, Nadine«, flüsterte ich. »Und gib auf dich acht. Vielleicht gibt es irgendwann mal eine Rettung…«
***
Es war noch gar nicht lange her, da hatte Suko an einer zerbrochenen Wendeltreppe gehangen und darauf gewartet, daß zwei Klauenfinger ihm die Kehle zudrückten. [5] Es war ihm da gelungen, an seinen geheimnisvollen Stab zu gelangen und das berühmte Wort zu rufen, damit die Zeit angehalten wurde.
Das wollte er jetzt nicht versuchen. Es erschien ihm zu riskant.
Es war also nicht möglich.
Suko gehörte dem Volk der Chinesen an. Sie besaßen eine andere Mentalität als die Europäer. Suko konnte sich entspannen, in sich gehen, um noch einmal für eine Aktion die notwendige Kraft zu sammeln. So etwas kostete Zeit, und die hatte Suko nicht. Ihm blieben höchstens Sekunden, denn dann hatte sich der verdammte Bluthund sicherlich entschieden.
Suko wagte es. Ein Klimmzug.
Nur an den Fingern hängend, zog er sich hoch. Eine schier unglaubliche Leistung, die auch nur ein Mensch wie Suko schaffte, der austrainiert war und in Hunderten von Kämpfen seinen Körper in Form gebracht hatte.
Mit dem Kopf geriet er über den Rand, sah die Schnauze des Bluthundes dicht vor sich und das aufgerissene Maul.
Der Köter wollte zubeißen.
Da wagte der Chinese das Unmögliche.
Noch in der Bewegung hieb er seinen Kopf vor und traf mit der Stirn die Schnauze des
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