0199 - Hyänen für den Henker
als ob wir dort auf eine fündige Mine stoßen würden.«
Unser Kellner, der das gute Trinkgeld vom letzten Mal nicht vergessen hatte, schoss auf uns zu und verteidigte seine Beute mannhaft und mutig gegen Sie serviettenwedelnden Kollegen, die zu dieser frühen Stunde auf Gäste so gierig warteten, wie die Geier auf das Aas in der Wüste.
Vertraulich flüsterte er uns zu, dass es heute eine ganz besonders gute Hummersuppe gäbe.
Wir aßen mit viel Vergnügen und machten es uns danach bei einigen Drinks gemütlich.
Gegen neun Uhr, als das Lokal sich zu füllen begann, erschien der dicke Mister Hung, schwitzend und liebenwürdig wie immer, um uns zu begrüßen. Offenbar rechnete er sich unsere häufigen Besuche zur besonderen Ehre an.
Natürlich erkundigte er sich sofort, ob wir etwas von Mi gesehen oder gehört hätten, aber wir stellten uns dumm. Es war nicht gut, wenn jemand wusste, wo das Mädchen sich befand.
Wir erkundigten uns, wie die Festivität, an der Mister Becker maßgeblich beteiligt gewesen war, verlaufen sei. Mister Hung schmalzte mit den Fingern und meinte, es sei prächtig gewesen, ein Beweis dafür, dass die Herrschaften einen Haufen Geld bei ihm gelassen hatten.
»Hören Sie mal, lieber Mister Hung«, sagte ich, »welchem Tong gehören Sie eigentlich an?«
»Tong?« Er tat verwundert. »Wie meinen Sie das überhaupt?«
»Wie ich es sage. Ich will Ihnen damit weder was am Zeug flicken noch in Ihre Geheimnisse eindringen. Ich brauche einfach Hilfe. Nicht nur Amerikaner, sondern auch Hunderte Ihrer Landsleute werden seit kurzer Zeit von einer Organisation erpresst, die sich das Syndikat nennt. Aber wozu erzähle ich Ihnen das? Sie wissen das besser als ich. Gerade heute hat mir einer Ihrer Freunde klargemacht, dass die Unterstützung von seitens der Tongs eine gewaltige Hilfe für uns wäre. Nicht genug damit, hat er sie uns angeboten.«
»Ich bin erstaunt, Mister Cotton«, sagte er. »Es gibt Dinge, die man als Chinese keinem anderen anvertraut.«
»Nicht unter normalen Umständen, wohl aber dann, wenn die beidersei- ' tigen Interessen parallel laufen. Sie sind genauso daran interessiert wie wir, dass die neu erstandene Macht des Syndikats in New York gebrochen wird. Das gilt nicht für Sie allein, sondern für alle Chinesen in New York. Es wäre nur natürlich, wenn Sie uns nach bestem Können unterstützen wollten.«
Gerade wollte ich ihn darüber zur Rede stellen, als er aufstand.
»Verzeihen Sie, meine Herren. Ich sitze schon zu lange bei Ihnen, und wie ich Ihnen neulich schon sagte, möchte ich nicht nur mein Geschäft, sondern auch mein Leben behalten.«
Merkwürdig rasch verabschiedete er sich.
Wir blieben noch bis Mitternacht, vor allem, weil ich ebenso wie mein Freund den um zwölf fälligen Anruf des Syndikats entgehen wollte.
Dieser Anruf ging mir auf die Nerven, er verfolgte mich ständig, und wenn ich daran dachte, war mir zumute, wie einem Amokläufer vor dem Start.
Es gibt nichts Gemeineres, als sich wehrlos von seinem Todfeind auf den Arm nehmen lassen zu müssen. Und etwas anderes war das ja nicht.
Um ein Uhr entschlossen wir uns zu gehen. Mister Hung war unsichtbar.
Auf der Straße war der in China Town übliche Betrieb. Wir bogen in die Hayes Street ein, um hinüber zum Columbus Park zu gehen, wo ich den Jaguar geparkt hatte.
***
An der Kreuzung von Worth Street hatte man wieder mal gebuddelt. Die Fahrbahn war zur Hälfte gesperrt, und auch am Fußgängerüberweg standen ein paar rote Lampen. Wir orientierten uns, und dann überquerten wir die Straße. Unter uns dröhnten die Dielen, die man über die Baugrube gelegt hatte. Sie dröhnten so laut, dass ich mich unwillkürlich beeilte.
»Hallo, Jerry, bist du Schnellläufer geworden?« Phil lachte, aber dann verging ihm das Lachen.
Die dicken Bohlen unter uns gaben nach. Wir ruderten mit den Armen, ich bekam meinen Freund zu fassen und er mich. Und so glitten, rutschten und fielen wir gemeinsam in das schwarze Loch im Erdboden.
Es schien endlos zu dauern, bis wir unten ankamen. Glücklicherweise war vor uns so viel Sand herabgerieselt, dass wir uns keine Knochen brachen. Wir waren nur etwas benommen und erschrocken, dann aber versuchten wir, schimpfend einen Ausweg oder besser, einen Aufstieg zu finden.
Diesmal hatte unser Glück uns verlassen. Die Baugrube war sicherlich vier Meter tief, und die Wände waren steil und glatt. Hier würden wir sitzen können, bis wir schwarz wurden.
Ich hatte mich schon darauf
Weitere Kostenlose Bücher