0199 - Hyänen für den Henker
unser Klient in einem Anfall von Geistesverwirrung Selbstmord begangen hat. Dieses merkwürdige Zusammentreffen hat mich veranlasst, Sie aufzusuchen.«
»Bitte, treten Sie näher«, forderte ich ihn auf, und wir gingen mit ihm in unser Office. »Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie über das, was jetzt hier gesprochen wird, unter allen Umständen schweigen?«
»Wenn es nichts ist, was gegen meine Verpflichtung einem Klienten gegenüber verstößt, so haben Sie mein Wort.«
»Ihr Klient ist tot, und damit ist Ihre Verpflichtung gegenüber ihm erloschen. Lassen Sie mich berichten, dass der Selbstmord nicht in einem Anfall von Geistesverwirrung, wie die offizielle Version lautet, verübt, sondern dass Mister Shawsburry planmäßig in Verzweiflung und damit in den Tod gejagt wurde. Er wurde um eine riesige Summe erpresst, und als sein persönliches Vermögen erschöpft war, empfahl man ihm, bei einem Wucherer ein Darlehen aufzunehmen, das er später, wenn er erst das Erbe seines Vaters angetreten hatte, zurückzahlen könnte. Da zog er es vor, sich zu erschießen.«
»Etwas Ähnliches habe ich geahnt«, murmelte Mister Cunningham. »Fragen Sie. Wenn ich Ihnen helfen kann, tu ich das gern.«
»Mister Shawsburry hat einen Brief hinterlassen, in dem er schreibt, dass er Sie beauftragt hätte, über eine junge Dame, die er unter den Namen Lili Spencer kennenlernte, und über deren Tante, Mrs. Broiler, Erkundigungen einzuziehen. Er teilte ferner mit, dass Miss Spencer ganz anders heiße und glücklich verheiratet sei. Leider vergaß er, wahrscheinlich in der Erregung, ihren Namen zu nennen. Er schriet) auch, dass die angebliche Mrs. Broiler unter dem Namen Cromwell in einem Apartment House am Central Park South wohne. Um es ganz klar zu sagen: Die angebliche Miss Spencer ist die Ursache für die Erpressung und die angebliche Mrs. Broiler die Erpresserin. Allerdings scheinen hinter ihr noch andere Leute zu stehen. Wer ist in Wirklichkeit diese Miss Lilo Spencer?«
Mister Cunningham räusperte sich. Dann zog er ein dickes Notizbuch aus der Tasche und blätterte darin.
»Ich muss etwas berichtigen, was Mister Shawsburry falsch verstanden oder vergessen hat. Miss Spencer ist nicht verheiratet. Sie hat trotz ihrer Jugend und obwohl sie aus guter Familie stammt, ein recht bewegtes Lebens hinter sich. Sie war Revuegirl, Gesellschaftsdame in verschiedenen Nachtclubs und bis vor einem Jahr Striptease-Tänzerin im Grünen Mond in der 49. Straße. Sie hatte bereits unzählige Freunde und ist zurzeit mit Mister Peter Newman liiert. Mister Newman, dessen erklärte Freundin sie ist, hat eine Börsenmaklerfirma und arbeitet an der Stock Exchange mit wechselndem Erfolg. Immerhin scheint er sehr gut zu verdienen. Er besitzt ein Haus auf Long Island und ein zweites am River Side Drive. Er fährt einen Hispano Suiza und gibt viel Geld aus, nicht zuletzt für seine Freundin, die in Wirklichkeit Norma Stanley heißt. Das ist alles, was ich über diese Dame herausgefunden habe.«
»Dame ist gut«, lachte Phil. »Glauben Sie, dass das Mädchen das Zeug hat, um bei einer gewerbsmäßigen Erpressung aktiv mitzuwirken?«
Mister Cunningham hob die Schultern. »Diese Frage kann ich nicht beantworten. Norma Stanley ist eine Frau, die das Geld über alles liebt und ihre Männer wechselt wie die Hemden. Sie hat wiederholt einem Mann nur darum den Laufpass gegeben, weil ein anderer ihr mehr bieten konnte. Von Erpressung ist mir allerdings noch nichts zu Ohren gekommen. Ich halte es dagegen für möglich, dass sie selbst Erpressern in die Hände gefallen ist und von denen benutzt und ausgenutzt wird. Sie ist der Typ einer Frau, die nur zufrieden ist, wenn sie einen Herrn über sich fühlt, vor dem sie sich ducken muss.«
Mehr konnte er uns nicht verraten, aber er versprach, uns zu unterrichten, sobald er durch Zufall etwas erfahren würde.
***
»Endlich wird es heller«, sagte Phil. »Die beiden Frauen werden wir uns kaufen - und zwar zuerst die Alte.«
Das war leichter gesagt als getan.
Mrs. Cromwell hatte ihre Wohnung am Central Park South vor zwei Tagen aufgegeben und war angeblich zu Besuch zu einer in San Francisco wohnenden Schwester gefahren. Eine Postadresse hatte sie nicht hinterlassen.
Vorsichtshalber ordneten wir an, dass eingehende Briefe angenommen werden sollten. Davon hatte man uns umgehend Mitteilung zu machen. Damit hatten sich die Ermittlungen, so weit sie Mrs. Cromwell angingen, bereits erschöpft.
Die Wohnung war
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