02 - Die Nacht der D?monen
zerschlagen, so dass die zahlreichen Spiegelbilder jetzt verzerrt waren.
Bis Jessica das Las Noches nicht mit eigenen Augen sah, bis sie es nicht betrat und das Schwindelgefühl in ihrem Kopf zu beherrschen versuchte, würde sie die psychedelische Bar, die sozusagen das Herz von Neuchaos war, niemals treffend beschreiben können.
Natürlich glaubte Jessica nicht einmal daran, dass Neuchaos wirklich existierte.
In diesem Moment, in der Stunde vor Sonnenuntergang, waren unter den Gästen wie üblich sowohl Menschen als auch Vampire. Die Sterblichen wurden von dem letzten Sonnenlicht ermutigt, das noch in der Außenwelt leuchtete; die meisten Vampire, die sich derzeit im Nachtclub aufhielten, würden erst nach Einbruch der Dunkelheit auf die Jagd gehen. Hinter der Bar stand ein Mädchen mit ebenholzfarbenen Augen namens Kaei. Mit ihrer blassen Haut und dem dichten, tintenschwarzen Haar, das wie ein Vorhang über ihren Rücken fiel, hatte Kaei, selbst als sie noch lebte, wie ein typischer Vampir ausgesehen. Sie war in Chaos geboren worden und für seine fast vollständige Zerstörung vor mehr als dreihundert Jahren verantwortlich gewesen. Sie hatte Aubrey mehr als einmal ihr Blut angeboten und im Gegenzug hatte er ihr wahrscheinlich ein Dutzend Mal das Leben gerettet.
»Moira hat nach dir gesucht«, erzählte Kaei Aubrey, als er näher kam. »Sie sagte irgendwas darüber, dass sie dir helfen wollte, die Schriftstellerin in mundgerechte Stücke zu zerteilen.« Moira hatte sich in letzter Zeit oft darüber beklagt, dass Ash Night sie wie ein Schwächling aussehen ließ. Dabei hatte sich die Autorin gar keine besondere Mühe geben müssen. Obwohl Moira im Vergleich zu den meisten ihrer Artgenossen stark war, zählte sie doch zu den Schwächsten ihrer Blutlinie. Sie war mehr als fünfhundert Jahre vor Aubrey verwandelt worden, aber sie hatte nie seine Stärke entwickelt.
Die meisten Angehörigen ihrer Blutlinie waren schon als Menschen stark gewesen – so zogen sie die Aufmerksamkeit der Vampire auf sich, die sie am Ende verwandeln würden. Fala hatte Moira kennen gelernt und sich in sie verliebt, dann hatte sie die Sterbliche verwandelt, um ihr das Leben zu retten.
Trotz Moiras Schwäche waren sie und ihre Blutsschwester Fala gefürchtet, weil sie den Ruf hatten, es zu genießen, wenn sie anderen Schmerzen zufügen konnten. Moira war zur Zeit der Azteken geboren worden und kurz nach ihrer Verwandlung hatte sie einem ihrer Priester mit bloßen Händen das Herz aus der Brust gerissen.
»Fala hat auch nach dir gefragt«, fuhr Kaei mit grimmiger Miene fort. »Sie meinte, sie würde die Schriftstellerin in Asche verwandeln – damit der Name besser zu ihr passt.« Anders als Moira, die Waffen bevorzugte, hatte Fala eine Vorliebe für Feuer.
Aubrey seufzte; er verspürte nicht das geringste Verlangen, sich auch nur mit einer der beiden Vampirinnen zu beschäftigen. »Vielleicht können sie Streichhölzer ziehen«, antwortete er lustlos.
»Mach, was du für richtig hältst«, erwiderte Kaei. Sie wusste, dass es ziemlich egal war, was sie sagte, und ging ohne ein weiteres Wort davon.
Aubrey zog eine der Flaschen ohne Etikett unter der Bar hervor. Obwohl er sich nicht ganz sicher war, was sich darin befand, wusste er, dass es ihm nicht schaden würde. Er könnte einen Liter Blausäure trinken, ohne dass es eine Wirkung zeigen würde. In manchen dieser Flaschen war Wein, in manchen Likör, in anderen Blut, das immer kalt gestellt war. Wie diese Bar aufgefüllt wurde, war ein ewiges Rätsel, denn nur selten arbeitete ein Barkeeper hinter der Theke und die Drinks waren alle umsonst.
10
AUBREY STAND SCHWEIGEND am Tresen, als er eine vertraute Stimme hinter sich hörte.
»Willkommen daheim«, sagte Jager in seinem üblichen kühlen Tonfall. Jager war der Zweitälteste Vampir in ihrer Blutlinie und einer der wenigen, die es vielleicht mit Aubreys reiner Stärke aufnehmen konnten. Allerdings war er selten an einem Kampf interessiert.
»Bist du Night begegnet?«, fragte Jager, als Aubrey ihm die Information nicht augenblicklich freiwillig gab.
»Ja«, antwortete dieser knapp.
»Hast du ihn getötet?« Es war eine beiläufige Frage. Zu töten war die logische Reaktion auf einen Menschen, der eine Bedrohung für ihre Art darstellte. Ob es ihr bewusst war oder nicht, Jessica verfügte über Wahrheiten, die für die Vampirwelt gefährlich waren – und sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher