02 - Geheimagent Lennets erster Auftrag
nehme ich meine Zuflucht zum Telefon. Heute werden wir um zweiundzwanzig Uhr Punkt Omega erreichen. Haben Sie Befehle für uns?«
»Sagen Sie, Sie wollen mich wohl zum besten halten?«
»Gut, werde es Merkur übermitteln.«
»Sie haben sich wohl in der Nummer geirrt?«
»Galaxis geht es gut, danke.«
»Ich würde mich an Ihrer Stelle in eine Anstalt begeben.«
»Nein, ich bin ganz bestimmt nicht verfolgt worden, das hätte ich bemerkt.«
»Wenn ich Sie erwischen könnte, Sie dämliche Spaßmacherin, würde ich Sie schön übers Knie legen!«
»Danke.«
Sie hängte auf und verließ die Zelle, wobei sie mit einem gleichgültigen Blick den Touristen streifte, der dicht daneben lehnte und angeblich seine Nägel putzte.
Vor Beginn ihrer Unterhaltung hatte Silvia geglaubt, sie würde nur mühsam ihren Ernst bewahren. Doch die Wichtigkeit ihrer Aufgabe und die Notwendigkeit, sie gut durchzuführen, hatten ihr jede Lachlust genommen. Sie wartete nun weitaus weniger nervös auf ihre zweite Verbindung.
»Zelle Nummer eins.«
Der Tourist befaßte sich eingehend mit dem Feilen seines Daumennagels.
»Hallo, Marie? Hier Silvia.«
»Sieh da! Guten Tag, meine Liebe. Froh, dich zu hören. Hast du schon dein Physikpensum fertig gebüffelt? Sollen wir heute abend miteinander ins Kino gehen?«
»Ins Kino? Daß ich nicht lache! Apropos Kino: Hör mal zu, was mir passiert ist. Weißt du, von wo ich telefoniere?«
»Nicht von dir zu Hause?«
»Von einer Stelle, die ich weiß nicht wie viele Kilometer von Port-Vendres entfernt ist.«
»Port-Vendres?«
»Unterbrich mich nicht dauernd! Eigentlich darf ich gar nicht telefonieren, weiß du. Wenn man das erführe, würde ich in Stücke gerissen werden.«
»Wer ist dieses ,man'? Dein Vater?«
»Aber nein, Dummerchen. Der Geheimdienst.«
»Sag mal, Silvia, bist du verrückt geworden?«
»Ich habe dir schon gesagt, Marie, daß du mich nicht unterbrechen sollst. Ich darf dir natürlich keine Staatsgeheimnisse verraten, aber da du meine beste Freundin bist, konnte ich nicht anders, als einen Auftrag, der mir vom Geheimdienst anvertraut wurde, dazu zu benutzen, dich anzurufen. Also, es ist folgendes passiert: Vorgestern abend bin ich entführt worden.«
»Von wem?«
»Aber doch vom Geheimdienst! Man hat mich in die Gegend von Port-Vendres gebracht. Wir sind die ganze Strecke durchgefahren. Jetzt sind wir im Wald, und wir haben uns einfach in ein Dorf aufgemacht. Ich, um mit der Zentrale zu telefonieren, und Lennet, um Batterien zu suchen.«
»Ich begreife überhaupt nichts. Wer ist Lennet? Von welcher Zentrale sprichst du?«
»Ach du lieber Himmel, wie dumm du bist! Die Zentrale des Geheimdienstes natürlich. Und Lennet, der ist ein richtig netter blonder Bursche. Möchte wetten, daß er ausgezeichnet tanzt. Da er, wie gesagt, nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, hat er mich gebeten, eine ganz, ganz geheime Nummer anzurufen - wie im Film. Und heute abend werden wir uns in einer Villa am Meer niederlassen. Ich hab sie noch nicht gesehen, aber es soll dort drei schneeweiße Villen geben. Wir werden die mittlere bewohnen. Wir werden dort in der Nacht einziehen, damit uns niemand beobachtet. Zur Stunde H, das heißt zweiundzwanzig Uhr. Und wir werden uns im Keller verstecken. Er ist vollkommen eingerichtet. Dort gibt's sogar Wachtelkonserven. Und dann werden wir uns einschließen, und wenn die Nordafrikaner und die Ostagenten angreifen, werden wir ihnen eins drüberknallen. Hast du jetzt verstanden?«
»Ich habe nicht das mindeste verstanden, ich glaube, du bist übergeschnappt. Warum hat dich der Geheimdienst entführt?«
»Weil... weil... ich sage dir doch, daß es geheim ist!«
»Silvia, das ist nicht auszuhalten!«
»Ach, weißt du, ich stehe unter Schweigepflicht. Ich hab dir, finde ich, sowieso schon viel zuviel gesagt. Vielleicht wird das Ganze schon weniger geheim sein, wenn wir uns das nächstemal sehen. Das eine sehe ich schon jetzt: Du bist eifersüchtig, weil man dich nicht entführt hat.«
»Ich, und eifersüchtig? Nie im Leben!«
»Also, auf bald, meine Liebe. Ich darf mich von Leutnant Lennet nicht erwischen lassen. Wenn der wüßte, daß ich dir das alles gesagt habe... In drei Wochen auf Wiedersehen!«
»Ich glaube", sagte Marie tückisch, »du hast diese ganze Geschichte erfunden, um deine Physikarbeit nicht machen zu müssen.«
Silvia ging an den Schalter, um zu zahlen. Als sie auf die Straße trat, stellte sie, sehr mit sich zufrieden,
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