02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
erklomm barfuß und mit zittrigen Knien die Sprossen der Leiter. Keuchend stand ich drei Stunden später vor „meiner“ Madonna. Es regnete nicht mehr rein.
Nach dieser Aktion war ich mir sicher. Wenn ich das zuwege brachte, dann konnte ich mir auch mehr zutrauen. Ich beschloss, in den Ort zu laufen, um all das zu kaufen, was ich brauchte. Und zwar von meinem ersparten Geld. Ich könnte es meinem Kind später wieder in seine „Spardose“ zurückgeben, überlegte ich. Wie früher würde ich einen Teil vom Gewinn meiner späteren Einnahmen abzweigen.
Wenn ich schon ging, dann wollte ich auch gleich das Ersatzteil für den Traktor mitbringen. Mit der Maschine kannte ich mich damals allerdings überhaupt nicht aus. Ich beschloss noch am selben Tag, Jo zu überreden, mich zu begleiten, doch das war alles andere als einfach. Er fürchtete sich vor Felix und seinen Wutausbrüchen. Andererseits ließ es seine Gutmütigkeit nicht zu, mich alles allein machen zu lassen. Jo wusste, dass mein Beinproblem diese Tour zu einer echten Qual werden lassen konnte.
Noch vor Sonnenaufgang zog ich mich lautlos an, stets mit einem Seitenblick auf die schlafende Rhoda, die unter keinen Umständen etwas von meinem Vorhaben mitbekommen durfte. Auf Zehenspitzen schlich ich kurz darauf an Corn vorbei, der vor Felix' Tür schlief. Da ging die Tür zu seinem Zimmer auf und im Grau der Morgendämmerung erkannte ich eine große schlanke Frau, die sich im Gehen ihr Wickeltuch um den nackten Körper schlang. Vor Angst wagte ich kaum zu atmen, denn ich wusste sofort, wer sie war: ihr süßes Parfüm verriet Mama Idu. Doch die hatte mich selbstverständlich sofort entdeckt.
„Was schleichst du denn hier herum?“, zischte sie, ging aber weiter, noch bevor ich mir eine Ausrede ausdenken konnte. Wortlos machte ich, dass ich aus dem Haus kam.
Meine Angst wich der Überraschung über das, was ich gerade mit eigenen Augen gesehen hatte. Für einen Moment war ich sprachlos vor Erstaunen, doch dann regte sich in mir ein Gefühl der Erleichterung. Ich war Mama Idu nicht böse. Im Gegenteil! Wenn meine Trauzeugin mir jenen Teil der Ehe abnahm, der mir am unangenehmsten erschien, musste ich ihr eigentlich dankbar sein.
Weitere Gedanken machte ich mir über diesen Zwischenfall nicht, denn ich schätzte Felix ohnehin als einen Mann ein, der es mit der ehelichen Treue nicht so genau nahm. Von mir hatte er in diesem Punkt ohnehin nichts zu erwarten ..
Jo stand bereits bei der alten Scheune, als ich dort eintraf. Wir hatten uns einen denkbar schlechten Tag für unseren Ausflug ausgesucht: Es regnete noch immer in Strömen, der Weg war völlig aufgeweicht. Das Laufen im Matsch dauert zwar länger, schmerzt aber nicht so sehr wie der Weg über steinharten, von der Sonne durchglühten Boden.
„Was ist eigentlich mit Papa David?“, fragte Jo nach einer Weile. „Ich habe gehört, dass er sehr krank war. Niemand will darüberreden.“
„Er hat sich sehr verändert“, gab ich zu, „er ist schmal geworden.“ Mehr wollte auch ich mir nicht entlocken lassen. Mein Bruder sollte sich nicht allzu viel Sorgen machen um Dinge, die wir ohnehin nicht beeinflussen konnten, vor allem durfte er nichts von jenem Machtspiel wissen, dem ich meine Ehe zu verdanken hatte. Damals war ich noch überzeugt, irgendwie würde sich schon noch alles einrenken. Die Pläne der Männer waren viel zu weit von meiner Welt entfernt, in der sich alles um die Farm drehte, die mir so viel bedeutete.
Plötzlich blieb Jo stehen, der Regen lief ihm in Strömen über das Gesicht.
„Choga“, sagte er, „ich habe vor ein paar Wochen einen Brief aus Ibadan bekommen. Sie schreiben darin, dass dort eine seltsame Krankheit herrscht.
Zwei Menschen sind schon daran gestorben.“
„Ist es Malaria oder Tuberkulose?“, fragte ich.
Jo hob ratlos die Schultern: „Die Menschen werden immer dünner, aber das ist nicht die Todesursache. Eine Frau starb an einer Lungenentzündung, nachdem sie immer mehr abgemagert war. Ein Kind lag morgens einfach tot in seinem Bett. Niemand weiß, warum. Jetzt haben es alle mit der Angst zu tun bekommen. Du hast gesagt, dass Papa David auch so dünn geworden ist. Das wird doch nicht dieselbe Krankheit sein? Es wäre furchtbar, wenn wir ihn verlieren.“
„Vater ist eigentlich schon wieder ganz in Ordnung“, beruhigte ich ihn leichthin.
Wir sind eine sehr große Familie, dachte ich. Es kann schon mal passieren, dass einige krank und dadurch dünner werden.
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