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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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in die Stadt hineinfahren, das hätte viel zuviel Zeit gekostet. Er wußte es nicht, aber ihr Arbeitstag war noch nicht beendet.
    Ohne sich zu überlegen, wie unwahrscheinlich es klingen mußte, griff sie zur ersten Ausrede, die ihr einfiel. »Ich hab ein Rendezvous, Sir«, sagte sie, und da ihr im selben Moment bewußt wurde, wie absurd sich das anhörte, fügte sie hastig hinzu: »Ich meine, ein richtiges Rendezvous ist es natürlich nicht. Ich habe jemanden kennengelernt, und wir - na ja, wir haben uns zum Essen verabredet und wollen uns hinterher vielleicht den neuen Film im Odeon ansehen.«
    Lieber Gott, dachte sie, hoffentlich gibt es im Odeon überhaupt einen neuen Film.
    »Oh«, sagte er. »Ach so. Kenne ich den Glücklichen?«
    Ach verdammt, dachte sie und sagte: »Nein, nein, ich hab ihn erst letzte Woche ganz zufällig kennengelernt. Ausgerechnet im Supermarkt. Wir sind irgendwo zwischen den Obstkonserve!und dem Tee mit unseren Einkaufswagen zusammengestoßen.«
    Lynley lachte. »Genau der richtige Anfang für eine nette Beziehung. Soll ich Sie an der Untergrundbahn absetzen?«
    »Nein. Ich laufe jetzt gern ein Stück. Bis morgen, Sir.«
    Er nickte, und sie sah ihm nach, wie er mit langen Schritten zu seinem Wagen ging, wo er im Nu von den kleinen Jungen umringt war, die bis jetzt bewundernd um den Bentley herumgestanden hatten.
    »Ist das Ihr Auto, Sir?«
    »Wieviel fährt der denn Spitze?«
    »Was kostet er?«
    Barbara hörte Lynley lachen, sah, wie er sich mit verschränkten Armen an den Wagen lehnte und mit den Kindern schwatzte. Wie typisch für ihn, dachte sie. Er hat in den letzten dreiunddreißig Stunden höchstens drei Stunden Schlaf gehabt, er weiß, daß seine Beziehung zu Helen in die Brüche zu gehen droht, und trotzdem nimmt er sich Zeit für diese Kinder. Während sie ihn beobachtete - aus der Ferne die Lachfältchen um seine Augen zu sehen meinte, das etwas schiefe Lächeln -, fragte sie sich, was sie denn tatsächlich tun konnte, um die Karriere und die Integrität dieses Mannes zu schützen.
    Es schneite, als Barbara abends um acht das Haus der St. James' in der Cheyne Row in Chelsea erreichte. Die Schneeflocken leuchteten wie Bernstein im gelben Schein der Straßenlampen. Es war nur leichtes Schneegestöber, dennoch ausreichend, um den Verkehr am Embankment, das nur einen Häuserblock entfernt war, fast zum Erliegen zu bringen. Vom gewohnten Motorengebrumm vorüberrasender Autos war nichts zu hören, dafür um so lauter ungeduldiges Hupen.
    Joseph Cotter, der im Leben von Simon Allcourt-St. James die ungewöhnliche Doppelrolle des Butlers und Schwiegervaters spielte, öffnete auf Barbaras Klopfen. Er war ihrer Schätzung nach nur knapp über fünfzig, klein und stämmig, seiner feingliedrigen, schlanken Tochter äußerlich so unähnlich, daß Barbara die Verwandtschaft zwischen ihm und Deborah St. James nie vermutet hätte. Er trug ein silbernes Tablett mit Kaffeegeschirr darauf und hatte Mühe, sich des kleinen Langhaardackels und der gut genährten grauen Katze zu erwehren, die ihm um die Beine strichen, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
    »Ab mit dir, Peach! Pfui, Alaska!« rief er, ehe er sich Barbara zuwandte und sie begrüßte. »Kommen Sie herein, Miss -Sergeant. Mr. St. James ist im Arbeitszimmer.« Er musterte Barbara kritisch. »Haben Sie denn schon gegessen, Miss? Die beiden drinnen sind gerade fertig geworden. Wenn's Ihnen recht ist, bringe ich Ihnen gleich noch was, hm?«
    »Danke, Mr. Cotter. Das wäre wirklich nett. Ich habe seit heute morgen nichts mehr gegessen.«
    Cotter schüttelte den Kopf. »Diese Polizei«, sagte er mißbilligend. »Wenn Sie nur einen Moment warten, Miss, mache ich Ihnen was zurecht.«
    Er klopfte einmal an die Tür neben der Treppe und öffnete sie, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Barbara folgte ihm in St. James' Arbeitszimmer, einen hohen Raum, vollgefüllt mit Bücherregalen, vielen Fotografien und bequemen alten Möbeln.
    Im offenen Kamin brannte ein Feuer, und der Duft des brennenden Holzes mischte sich angenehm mit dem Geruch von Leder und Cognac. St. James saß in einem Sessel beim Feuer, das kranke Bein hochgelegt, und Helen Clyde hatte es sich ihm gegenüber auf dem Sofa bequem gemacht. Sie saßen ruhig beieinander, etwa wie ein altes Ehepaar oder gute Freunde, die einander so nahe sind, daß sie das Gespräch nicht brauchen, um eine Verbindung herzustellen.
    »Miss Havers ist gekommen, Mr. St. James«, sagte Cotter und trug sein

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