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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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und sah sich um, als wolle er sich vergewissern, daß er seine Tochter und ihren Mann nicht in flagranti ertappt hatte.
    Vinney zeigte keine Verwunderung über die demonstrative Art, in der sein Erscheinen von Cotter gemeldet worden war. Mit einem braunen Umschlag in der Hand trat er in den Arbeitsraum. Sein rundes Gesicht wirkte müde und abgespannt.
    »Ich glaube, ich habe, was Sie brauchen«, sagte er zu St. James, nachdem Cotter gegangen war. »Vielleicht sogar etwas mehr. Der Mann, der '63 über den Unfall Geoffrey Rintouls und die nachfolgende gerichtliche Untersuchung berichtete, ist jetzt einer unserer Ressortleiter. Wir haben heute morgen die Akten durchgesehen und drei Fotos und seine damaligen Aufzeichnungen gefunden. Sie sind zwar kaum noch zu entziffern, weil sie mit Bleistift geschrieben sind, aber vielleicht läßt sich doch etwas mit ihnen anfangen.« Er warf St. James einen forschenden Blick zu. »Hat Stinhurst Joy getötet? Wollen Sie darauf hinaus?«
    Die Frage war nur eine logische Folgerung aus allem, was bisher vorgegangen war, und es war durchaus verständlich, daß der Journalist sie stellte. St. James jedoch war sich bewußt, daß sie für Vinney von persönlicher Bedeutung war. Der Mann spielte in dem Drama von Westerbrae dreierlei Rollen - als Zeitungsmann, Freund der Verstorbenen und Verdächtiger. Es konnte für ihn nur von Vorteil sein, wenn aller Verdacht sich auf einen anderen richtete und er damit aus dieser letzten unangenehmen Rolle entlassen wurde. Und wer konnte besser dafür Sorge tragen, daß die Polizei ihren Argwohn gegen ihn fallenließ, als St. James, der Lynleys Freund war? Darum antwortete St. James mit Vorsicht.
    »Uns ist nur eine Kleinigkeit an Geoffrey Rintouls Tod aufgefallen, die uns neugierig macht.«
    »Ah ja. Ich verstehe.«
    Vinney war nicht anzumerken, ob er von der ausweichenden Antwort enttäuscht war. Erst jetzt zog er seinen dicken Mantel aus, und nachdem St. James ihn mit Deborah bekanntgemacht hatte, legte er den braunen Umschlag auf den Labortisch und entnahm ihm drei von Knicken durchzogene Fotografien und einen dünnen Stapel lose Blätter.
    »Die Aufzeichnungen über die gerichtliche Untersuchung sind sehr umfassend. Unser Berichterstatter hoffte, daß sich aufgrund von Geoffrey Rintouls außergewöhnlicher Biographie ein längerer Artikel aus der Sache machen lassen würde. Er achtete deshalb sehr auf die Details. Ich denke, Sie können sich auf seine Angaben verlassen.«
    Die Aufzeichnungen waren auf gelbes Kanzleipapier geschrieben, was es nicht einfacher machte, die verblaßte Bleistiftschrift zu entziffern.
    »Hier steht etwas von einem Streit«, bemerkte St. James beim Überfliegen des Textes.
    Vinney zog sich einen Laborhocker zum Tisch. »Die Aussagen der Familienmitglieder waren ziemlich eindeutig. Der alte Lord Stinhurst - Francis Rintoul, der Vater des gegenwärtigen Lord Stinhurst - sagte, es hätte einen heftigen Streit gegeben, ehe Geoffrey in der Silvesternacht abfuhr.«
    »Und worüber?« Während St. James noch nach Einzelheiten suchte, lieferte Vinney sie ihm schon.
    »Es ging offenbar um alte Familiengeschichten.«
    Das kam dem, was Lynley über sein Gespräch mit Lord Stinhurst berichtet hatte, sehr nahe. Aber St. James konnte nicht glauben, daß der alte Lord Stinhurst vor einem öffentlichen Gericht über das Dreiecksverhältnis zwischen seiner Schwiegertochter und seinen beiden Söhnen gesprochen hatte. »Machte er dazu genauere Angaben?«
    »Ja.« Vinney wies auf eine Passage etwa in der Mitte der Seite. »Geoffrey wollte anscheinend aus irgendeinem Grund unbedingt nach London zurück und war entschlossen, trotz des Schneesturms noch in der Nacht zu fahren. Sein Vater sagte aus, er hätte versucht ihn zurückzuhalten. Wegen des Wetters. Und weil er Geoffrey in den vergangenen sechs Monaten kaum gesehen hatte und sich ein längeres Zusammensein wünschte. Ihre Beziehungen waren offenbar in letzter Zeit recht gespannt gewesen, und der alte Herr sah in dieser Familienzusammenkunft am Silvesterabend eine Möglichkeit, die Unstimmigkeiten, die zwischen ihnen bestanden, beizulegen.«
    »Was waren das für Unstimmigkeiten?«
    »Soweit ich aus den Notizen hier sehen konnte, hatte der Alte Geoffrey ziemlich zugesetzt, weil er noch immer nicht verheiratet war. Er war wohl der Meinung, es sei Geoffreys Pflicht, für einen Erben und Stammhalter zu sorgen. Das jedenfalls scheint der Kern ihrer Differenzen gewesen zu sein.« Vinney studierte

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