02 - komplett
und Hector verfiel in leichten Galopp, sodass sie schnell an Lord Buckland vorbeifuhr. Das einzige Zugeständnis, das sie an die Höflichkeit machte, war ein knappes Heben der Peitsche, während sie ihn passierte.
Gleich darauf holte Sir Lewis sie wieder ein, und sie errötete. Wie sollte sie ihm erklären, warum sie Lord Buckland geschnitten hatte? Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu, doch als sie seine belustigte Miene sah, lächelte sie reumütig.
„Habe ich etwa eine Frau gefunden“, bemerkte er in neckendem Ton, „die nicht zu den unzähligen Bewunderinnen Seiner Lordschaft gehört?“
Sein Gesichtsausdruck war so komisch, dass Hester lachen musste. „Ganz und gar nicht. Seine Lordschaft ist stets sehr freundlich. Er ist nur der Meinung, ich sollte Moon House verlassen, und mir ist nicht danach, ihm den Gefallen zu tun.“
Sir Lewis wurde ernst. „Dann möchte er das Haus also immer noch haben?“
„Sie wissen davon?“ Hester verlangsamte das Tempo ihres Pferdes.
„Sein Verwalter setzte sich mit Vater in Verbindung, da waren gerade zwei, drei Tage vergangen, seit er Ihnen zugesagt hatte. Selbstverständlich schickte er den Mann fort, doch der beharrte. Mein Vater weigerte sich, und bald darauf starb er.“
Wie es schien, hatte Guy von ihrer bevorstehenden Ankunft in Winterbourne St.
Swithin gewusst, und war einige Tage vor ihr hier eingetroffen.
Hester kaute immer noch nachdenklich auf der Unterlippe, als sie Winterbourne Hall erreichten. Hinter den Ställen rief der Baronet nach einem wortkargen rothaarigen Mann, dem er ihr Problem erklärte.
„Gut, Sir. Ich kümmere mich gleich darum. Könnte schon sein, dass Sie recht haben mit der Tonne und dem Rohr.“ Er neigte vor Hester den Kopf und kehrte zu einigen Männern zurück, die sich um einen Stoß Ziegelsteine versammelt hatten.
„Wir sind stets dabei, anzubauen und auszubauen“, bemerkte Sir Lewis, während er Hester herunterhalf. „Das Haus hat ständige Wartung nötig. Manchmal frage ich mich, ob es jemals ein Ende haben wird.“
Da er ihre Aufmerksamkeit darauf gelenkt hatte, sah Hester jetzt auch, dass Winterbourne Hall in einem sehr schlechten Zustand war. In einer Wand konnte man ganz deutlich einen tiefen Riss ausmachen, Planen bedeckten das Dach der Ställe, und die Farbe an der Hauptfassade blätterte überall ab.
„Es ist sehr elegant“, sagte sie höflich. „Stammt es aus der Zeit Queen Annes?“
Während er sie in die Halle führte, erzählte Sir Lewis ihr die Geschichte des Hauses.
„Wo mag Sarah nur sein?“, unterbrach er sich.
„Miss Sarah ist in der Bibliothek, Sir Lewis.“ Der Butler nahm Hesters Handschuhe und Umhang. „Soll ich ihr mitteilen, dass Sie zu Hause sind, Sir?“
„Nein, wir gehen schon zu ihr.“ Er öffnete die Tür zu einem hübsch getäfelten Raum, in dem drei Wände gänzlich von Regalen eingenommen wurden. „Sarah? Wir haben einen Gast.“
Miss Nugent trat aus einem Fenstererker hervor, in der einen Hand ein Buch, in der anderen ein Pergament. Ihr Verhalten, als sie sah, wer an der Seite ihres Bruders hereinkam, war außergewöhnlich.
„Miss Lattimer! Oh, nein! Wie kann ich Ihnen zu verstehen geben ... oh, mein Gott!“
Sie sank auf einen Sessel und fächelte sich mit dem Pergament Luft zu.
„Was wollen Sie mir sagen?“, fragte Hester in etwas zu scharfem Ton. „Bitte, beruhigen Sie sich doch.“ Sie griff hastig in ihr Retikül und hielt der jungen Dame ein Riechfläschchen unter die Nase. Sarah zuckte zurück und hörte auf, sich so dramatisch zu gebaren.
„Lewis, sieh, was ich in diesem alten Buch gefunden habe. Ich suchte in unserer Familiengeschichte nach weiteren Erwähnungen des Spuks im Moon House, und dabei fiel dieses Papier heraus. Da steht, dass auch das Böse mit dem Zunehmen des Mondes wächst – das Böse, das in der Nacht umgeht, um seine verlorene Geliebte zu finden, und alle hasst, die glücklich sind und am Leben. Es verstreut dabei sein Liebespfand. Und dann, bei Vollmond ...“
Liebespfand? Die Rosen? dachte Hester erschrocken. „Ja?“, fragte sie ungeduldig, den Blick auf Lewis’ Gesicht geheftet, während der in dem alten Pergament in seiner Hand las. „Was geschieht bei Vollmond?“
„Bei Vollmond“, sagte er mit leicht zitternder Stimme, „geht der Tod um und ...“
„Und was?“
„Ich weiß nicht.“ Er reichte ihr das Papier. „An der Stelle ist ein Stück abgerissen.“
„Auch jetzt nimmt der Mond gerade zu“, flüsterte
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