02 - komplett
und deswegen ist ja so ein Aufruhr zu Hause.“ Miss Redland zuckte die Achseln. „Und da ich nichts davon wissen soll, musste ich gehen.“
„Möchten Sie mit mir nach Tring fahren?“, schlug Hester vor. „Ich habe nur eine sehr langweilige Einkaufsliste abzuhaken, aber es wäre vielleicht eine Abwechslung für Sie.“
„Ja, gern.“ Bevor Hester wusste, wie ihr geschah, saß Miss Redland schon neben ihr auf dem Sitz.
„Dann kehre ich nur kurz um, um Ben Aston zu bitten, Ihrer Mutter mitzuteilen, wo Sie sein werden.“ Hester vollbrachte eine Kehrtwendung, auf die sie insgeheim recht stolz war.
„Es gibt ein sehr gutes Tuchgeschäft in Tring“, teilte Annabelle ihr mit. „Und auch eine Konditorei, wo man heiße Schokolade und Eiscreme bekommen kann.“
Eine Weile waren sie bereits schweigend in Richtung Tring gefahren, als Annabelle plötzlich scheinbar gelassen fragte: „Bekommen Sie Lord Buckland gelegentlich zu sehen?“
Hester bog in die Straße, die zur Zollschranke führte. „Ich kann es nicht verhindern, da er genau gegenüber wohnt. Richtig begegnet sind wir uns seit Mrs. Buntings Nachmittagstee allerdings nicht. Er war allerdings so freundlich, uns einen Diener auszuleihen, weil Jethro die Treppe hinuntergefallen ist.“
„Oh.“ Annabelle klang enttäuscht.
„Ich nehme an, wie wir alle auch, wundern Sie sich, was er hier im Dorf zu suchen hat.“
„Es ist mir herzlich gleichgültig, warum er hier ist. Hauptsache, er bleibt“, erwiderte Annabelle freiheraus. „Er ist so elegant, finden Sie nicht, Miss Lattimer? Und er sieht gut aus und ist reich und unverheiratet.“
„Es könnte jedoch eine Bindung geben, von der wir nichts wissen“, gab Hester zu bedenken, ebenso sehr sich selbst wie ihrer Begleiterin.
„Oh.“ Einen Moment lang war Annabelle ernüchtert, doch dann fasste sie sich wieder. „Nun, wenn es aber keine gibt, vergessen Sie nicht, Sie und ich sind die einzigen ledigen Damen im Dorf, die für ihn infrage kämen.“
„Ich bin gewiss nicht auf der Suche nach einem Gatten“, sagte Hester bestimmt.
„Und Ihre Mama wird wollen, dass Sie erst einmal eine Londoner Saison mitmachen, bevor Sie sich für einen Mann entscheiden.“
„Ich könnte unmöglich einen vornehmeren oder attraktiveren finden.“
Hester war eigentlich geneigt, ihr zuzustimmen, fand es aber an der Zeit, das für sie so schmerzliche Thema zu wechseln. „Wie traurig, dass Miss Nugents Verlobter nicht hier ist, um ihr in ihrem Kummer um ihren Vater beizustehen.“
„Wenn er überhaupt noch ihr Verlobter ist“, meinte Annabelle geheimnisvoll.
Über jeden anderen hätte Hester sich keinen Klatsch anhören wollen, doch was immer sie über die Nugents in Erfahrung brachte, könnte von Bedeutung sein. „Sir Lewis sagte erst neulich zu mir, dass sie verlobt sei.“
„Und wo ist der Verlobte dann?“, fragte Annabelle patzig. „Auf den Westindischen Inseln, da ist er. Und scheint nicht die geringste Absicht zu haben, nach England zu kommen, um Sarah zu heiraten. Man munkelt, er wurde gezwungen, um sie anzuhalten, weil sie sich von ihm hat kompromittieren lassen. Und jetzt ist er so weit fort, dass niemand ihn zwingen kann zurückzukommen.“
Hester runzelte die Stirn. „Was man munkelt, muss nicht unbedingt auch wahr sein.“
Hester lenkte das Gig auf die belebte High Street von Tring. „Wissen Sie, wo wir das Gig lassen können?“
„Mama hält immer beim ‚Rose and Crown‘. Sehen Sie, da links. Ich glaube nicht, dass es nur erfunden ist, denn es passt genau zu Sarah. Sie hat schon, als wir klein waren, immer Ränke geschmiedet und intrigiert, um zu bekommen, was sie wollte.“
Das bot einen sehr interessanten Einblick in Sarah Nugents Persönlichkeit. Hester nahm sich vor, mit Guy darüber zu sprechen, und konzentrierte sich jetzt erst einmal darauf, ohne Malheur auf den Hof des Wirtshauses zu fahren.
Die Damen verbrachten einen angenehmen Nachmittag. Hester erledigte ihre Einkäufe – Marias Wolle zum Stopfen, ein Scheuermittel und zwei Mausefallen –, und danach begaben sie sich zu der Konditorei und ließen sich ihre Schokolade und die köstliche Eiscreme schmecken.
„Sie scheinen die Nugents sehr gut zu kennen“, sagte Hester.
„Oh ja, wir sind zusammen aufgewachsen. Lewis hat sich immer viel zu sehr von Sarah beeinflussen lassen. Was sehr seltsam ist, da sie jünger ist als er. Und ihr Vater war ein fürchterlicher alter Mann.“ Sie hielt inne, als Hester erstaunt die
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