02 - komplett
Augenbrauen hob. „Es tut mir leid, Miss Lattimer, aber es stimmt. Er war immer schlechter Laune und entsetzlich steif. Der arme Lewis konnte es ihm nie recht machen.“
„Als ich neulich auf Winterbourne Hall war, schien es mir reichlich heruntergekommen zu sein“, bemerkte Hester.
„Ja, sie haben große Probleme, aber das ist nicht Lewis’ Schuld. Mama sagt, sein Großvater väterlicherseits sei ein reicher Mann gewesen, allerdings schien das Geld einfach verschwunden zu sein. Lewis’ Vater hat sich nie von diesem Schlag erholt.“
Insgesamt erwies sich Annabelle als Fundgrube aufschlussreicher Enthüllungen, die Hester an Guy weiterreichen konnte. Sie hoffte nur, es würde mehr Sinn für ihn ergeben als für sie.
Zu Hause hatte man ihr wenig Neues zu berichten. Jethro hatte die Vernunft besessen, sich nach dem Mittagessen zu einem Nickerchen hinzulegen. Susan war mit Mrs. Dallings Arbeit sehr zufrieden, und Sir Lewis’ Verwalter hatte sich den feuchten Schrank angesehen und versprochen, mit einem Klempner zurückzukommen, um das undichte Regenfallrohr umzulenken, das er für die Ursache des Problems hielt.
Hester legte ihre Besorgungen auf den Küchentisch. „Glaubt ihr, es ist richtig von uns, Sir Lewis’ Hilfe anzunehmen, wenn wir ihn doch für unseren Einbrecher halten?“
„Wenn er es ist, dann schuldet er Ihnen zumindest das, und wenn wir uns irren, dann wird er nie erfahren, dass wir ihn verdächtigt haben“, meinte Susan ungerührt.
Obwohl Hester sich später fleißig mit der Ausbesserung eines Rockes beschäftigte, gingen ihre Gedanken immer wieder zu Guy. Sie erinnerte sich an das Gefühl seines Körpers an ihrem, seiner Lippen auf ihrem Mund und an das Zwinkern seiner Augen, wenn sie einen Scherz miteinander teilten. Wie lange würde er noch in Winterbourne bleiben und sie quälen? Und würde die Qual geringer sein, wenn er nicht mehr da war?
Die Vorstellung eines Lebens ohne ihn war ihr bisher nicht in den Sinn gekommen und erwies sich als unerwartet schmerzlich. „Ich bin in ihn verliebt“, flüsterte sie.
Nur brachte ihre Erkenntnis ihr keine Erleichterung. Wieder stand sie vor derselben Entscheidung. Entweder versuchte sie, ihn zu vergessen, sobald er fort war, oder nahm das Angebot einer unmoralischen Verbindung an, sollte er es ihr vorschlagen.
Hester erschrak, als ihr bewusst wurde, dass sie letztere Möglichkeit überhaupt in Betracht zog. Offenbar war sie nicht ganz so willensstark, wie sie geglaubt hatte.
Am folgenden Nachmittag jedoch war Hester in sich gegangen und entschlossen, sich nicht in Versuchung führen zu lassen. Sie wusste, was es hieß, von den Menschen wie eine gefallene Frau behandelt zu werden, und hatte nicht die Absicht, sich wieder in eine solche Lage zu bringen.
Als Guy seine Karriole vor dem Haus anhielt, kam Hester ihm zwar sehr elegant gekleidet, aber ausgesprochen ernüchtert entgegen.
„Guten Tag, Miss Lattimer.“ Guy half ihr auf den hohen Sitz und wartete, bis der Stallknecht sich zurückgezogen hatte. „Sie sehen entzückend aus, meine Liebe.“
Hester machte es sich bequem, ohne darauf einzugehen, und betrachtete bewundernd die beiden Grauen. „Ein sehr schönes Gespann, Mylord.“
Guy musterte sie nachdenklich und fragte sich, was sich an ihr verändert hatte. Oder lag die Veränderung eher an ihm und seinen neu entdeckten Gefühlen für Hester?
Doch irgendetwas bedrückte sie, das spürte er. War es nur der geheimnisvolle Eindringling?
„Wie stehen die Dinge im Moon House?“
„Sehr gut.“ Hester erzählte ihm die Neuigkeiten von ihrer gestrigen Fahrt, während er ihr nur mit halbem Ohr zuhörte. Musste er das Haus wirklich haben, jetzt da er wusste, dass es in guten Händen war und dass die neue Besitzerin es genauso liebte wie seine erste Bewohnerin?
Allerdings konnte er nicht fortgehen, ohne ihr die Wahrheit über das Haus zu sagen und inwieweit er darin verwickelt war. Um das allerdings tun zu können, musste er Georgianas Einwilligung holen. Würde seine Schwester damit einverstanden sein, dass er das Geheimnis preisgab? Er bezweifelte es.
Aber konnte er Hester Lattimer einfach so zurücklassen? Auch das begann er allmählich zu bezweifeln.
„Guy, hören Sie mir überhaupt zu?“, verlangte sie zu wissen.
„Nein“, gab er mit einem zerknirschten Lächeln zu. „Aber ich dachte an Sie.“ Die Röte, die ihre Wangen überzog, war reizend und ließ ihn hoffen, dass er ihr nicht ganz gleichgültig war. Der Gedanke
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