02 - komplett
seiner Wut spürte Guy in diesem Moment nur Stolz auf sie. Unvernünftig und eigensinnig mochte sie sein, doch sie besaß Mut und Geistesgegenwart, die ihn mit Bewunderung erfüllten.
Was nicht heißt, dachte er allerdings gleich darauf, dass ich sie nicht über das Knie legen und ihr die hübsche Kehrseite versohlen werde, sobald wir in Sicherheit sind.
Das grimmige Lächeln auf seinen Lippen musste ihr aufgefallen sein, denn kaum hatten sie die Scheune erreicht, entzog Hester ihm ihren Arm und verlangte zu wissen: „Und was belustigt Seine Lordschaft so sehr?“
„Gar nichts.“ Guy stellte die Laterne ab. „Welches Vergnügen soll ich darüber empfinden, dass eine wohlerzogene junge Dame durch die Gegend galoppiert und noch dazu in Männerkleidung in ein Haus einzubrechen versucht.“
„Ich habe es nicht nur versucht, ich habe es auch erfolgreich getan“, fuhr sie ihn an.
Die Röte ihrer Wangen stand ihr sehr gut. „Und die Hosen musste ich anziehen, damit ich besser reiten konnte. Ich wollte niemandem vormachen, ich sei ein Junge.“
„Nun, dafür müssen wir dem Herrgott wenigstens dankbar sein“, bemerkte Guy spöttisch und ließ den Blick unwillkürlich über ihre verführerischen Rundungen gleiten. Wie sehr es ihn danach verlangte, sie hier und jetzt in die Arme zu reißen, ihren Mund zu küssen und ihre langen, schlanken, herausfordernd zur Schau gestellten Beine zu streicheln.
„Sie ... Sie Wüstling!“ Hester hob ungestüm die Hand. „Wie können Sie es wagen, mich so unverschämt anzustarren?“
„Hester, was ist mit Ihren Händen?“ Er packte sie bei den Gelenken, drehte die Handflächen nach oben und zog Hester ans Licht der Laterne. Verlangen und Ärger verwandelten sich in einem Augenblick in Sorge. An ihren Ärmelaufschlägen sah er Schmutz und Blutflecken. Die Handschuhe waren zerrissen, sodass die aufgeschürfte Haut darunter sichtbar wurde. „Hester.“ Der Anblick schnürte ihm die Kehle zu.
Der Gedanke, wie sehr er ihr wehgetan haben musste, als er sie bei der Hand gepackt und rücksichtslos hinter sich hergezerrt hatte, ließ sein Herz stocken.
„Hester“, wiederholte er atemlos und zog behutsam die Handschuhe herunter. „Oh, mein armer Liebling.“ Er hob erst die eine Hand, dann die andere und küsste sie auf eine unverletzte Stelle. „Mein Herz, ich habe dir wehgetan. Verzeih mir bitte. Ich habe dich brutal hergezerrt, dich angeschrien.“
„Mich angezischt, meinst du.“ Sie lächelte unter Tränen. Dass sie sich so vertraut ansprachen, fiel ihr offenbar in der gefühlvollen Stimmung nicht auf. „Du hast mir nicht wehgetan. Und ich weiß, warum du böse auf mich warst. Aus dem gleichen Grund, weshalb ich so böse auf dich war. Wir hatten beide Angst um den anderen, mehr nicht.“
„Du hattest Angst um mich?“ Guy zog sie an sich und lehnte die Stirn an ihre. „Ich liebe dich, Hester.“
„Ich liebe dich auch, Guy.“ Die Worte waren ihr entschlüpft, bevor sie sie zurückhalten konnte. Und erst dann wurde ihr wirklich klar, was Guys Worte bedeuteten. „Du sagtest ... du sagtest, du liebst mich?“
„Ja. Ich liebe und begehre dich. Der Gedanke daran lässt mir keine Ruhe. Doch ich fürchtete, du könntest in mir nur den Freund sehen und nie den Ehemann.“ Er küsste sie auf die Stirn, die Lider, den Mund.
Ehemann? Sein Kuss verhinderte jeden Protest. Ihr wurde schwindlig vor Verlangen, obwohl sie mit aller Kraft versuchte, vernünftig zu bleiben. Wie war es nur möglich, dass man innerhalb weniger Momente vom Gipfel der Glückseligkeit in den Abgrund tiefster Verzweiflung stürzen konnte? Sollte sie ihm von dem schlechten Ruf erzählen, den sie in London hatte? Doch selbst wenn er ihr glaubte, dass sie unschuldig war, gab es immer noch den großen Standesunterschied.
Guy musste ihren inneren Aufruhr gespürt haben, denn er löste sich von ihr und sagte mit einem schiefen Lächeln: „Mein armer Liebling. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte ich gar nicht wählen können für meinen Antrag. Dir ist kalt, du bist verletzt und hast Schmerzen, und es ist Mitternacht, und wir stehen in einer schmutzigen Scheune. Ich denke, ich bringe dich jetzt nach Hause und versuche es morgen noch einmal auf die richtige Weise.“
„Guy, ich kann dich nicht heiraten.“ Noch nie war ihr etwas so schwergefallen wie das, aber sie konnte ihn nicht eine ganze Nacht glauben lassen, sie wolle seinen Antrag annehmen.
„Ich verstehe.“ Er hielt ihr den
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