02 - komplett
Ritt. Es war nur so dunkel, dass sie nicht so schnell vorwärts kam, wie sie gewollt hätte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie die Scheune erreichte, an die sie sich von ihren Besuchen hier noch erinnerte. Geschickt rutschte sie vom Pferd und führte es hinein. Tatsächlich, da stand auch Guys Hengst. Schnell band sie Hector neben ihm fest und huschte wieder hinaus.
Der Mond war inzwischen aufgegangen. Hester fand den Eingang zum Grundstück und lief den Weg, der zum Haus führte, hinauf, wobei sie sich zu erinnern versuchte, ob es irgendwelche Schlaglöcher gab. Es gab welche. Sie brach mit dem Fuß durch eine dünne Eisschicht auf einer Pfütze und fiel. Das weiche Leder ihrer Handschuhe riss, und sie schürfte sich die Handflächen auf.
Mit einem unterdrückten Fluch kam sie wieder auf die Beine. Ihre Hände brannten, an einer Seite war ihre Hose ganz durchnässt, und Nase und Ohren fühlten sich eiskalt an. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, sich ins Gras zu setzen und in Tränen zu zerfließen. Das ging natürlich nicht, doch sobald sie diesen dickköpfigen, arroganten, dummen Mann in die Finger bekam, würde sie ihm gehörig die Meinung sagen.
Wenn er inzwischen nicht schon von Sir Lewis entdeckt worden ist, dachte sie besorgt und setzte ihren Weg mit vorsichtigeren Bewegungen fort.
Sie war ihrem ersten Impuls gefolgt, als sie sich auf Guys Fersen geheftet hatte, doch nun wurde ihr klar, dass sie nicht einfach an die Tür klopfen konnte – nicht in diesem Aufzug!
Das alte Haus ragte fast bedrohlich vor ihr auf. Entweder war niemand zu Hause, oder alle hielten sich im hinteren Teil auf. Wo befand sich die Bibliothek? Auf der hinteren Seite natürlich. Sie machte sich also auf den Weg und schließlich fand sie sich auf einer Kiesterrasse wieder, von der man auf den Garten schauen konnte. Die Steine knirschten unter ihren Füßen, und ihr war, als würde das Geräusch von den Wänden widerhallen. Genauso gut hätte sie ihre Ankunft mit einem Trommelwirbel verkünden können.
Im Mondlicht nahm sie ganz schwach eine flache Steinmauer wahr, die die Terrasse umgab. Hester schlich auf Zehenspitzen darauf zu und kletterte hinauf. Sie erreichte das Fenster der Bibliothek, da fiel plötzlich ein Lichtstrahl von innen auf die Terrasse und war im nächsten Moment verschwunden. Jemand hatte gerade eben seine Laterne abgedunkelt.
Also war Guy im Haus und offenbar auch noch nicht entdeckt worden. Sie streckte die Hand aus und tastete den Fensterrahmen ab. Glück gehabt, das Fenster war offen. Nun fuhr sie mit der Hand an der Wand darunter entlang und entdeckte, wie sie gehofft hatte, eine Stelle, wo das Mauerwerk einen Vorsprung bildete. Geschickt stellte sie einen Fuß darauf und kletterte auf den Sims. Danach schob sie den unteren Teil des Fensters weiter hoch und schob sich langsam ins Innere des Hauses.
Absolute Finsternis. Wo war er nur?
Sie keuchte erstickt auf, als jemand sie plötzlich packte. Eine Hand legte sich auf ihren Mund, und Hester wurde mit brutaler Kraft an eine breite Brust gezogen.
Wütend wehrte sie sich, obwohl sie sofort erkannt hatte, dass es Guy war. Alles an ihm war ihr vertraut, nur die harten Hände, die sie rücksichtslos festhielten, schienen gar nicht zu ihm zu passen.
„Seien Sie still“, flüsterte er kaum hörbar. Es war ein Befehl, keine Bitte. Hester nickte, so gut sie konnte, und wurde losgelassen.
„Sind Sie wahnsinnig?“, fuhr er sie an.
„Nein, aber Sie sind es schon“, entgegnete sie hitzig. „Was werden Sie tun, wenn man Sie entdeckt?“
„Laufen, als wäre der Teufel hinter mir her. Was jetzt, da Sie hier sind, um einiges schwieriger sein wird, Sie kleine Närrin. Was machen Sie hier?“
„Ich will Sie aufhalten.“
„Dazu ist es ja wohl zu spät.“
„Ja, das ist mir schon aufgefallen.“ Zu ihrem Ärger ließ sich beim Flüstern nicht so viel Sarkasmus vermitteln, wie sie vielleicht gewollt hätte. „Können Sie nicht die Blende der Laterne beiseiteschieben?“
„Warten Sie hier.“
Eine Stunde schien ihr zu vergehen, bevor Guy den Raum lautlos durchquert hatte.
Als er die Blende an der Laterne öffnete, ließ er im selben Moment ein großes Sofakissen auf den Boden vor der Tür fallen. Hester erkannte, dass er so das Licht daran hinderte, nach draußen zu dringen, und hob eine Augenbraue: „Machen Sie so etwas öfter?“
Guy ging nicht auf ihre Frage ein, sondern betrachtete sie kritisch. „Was zum Teufel
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