02 - komplett
tragen Sie da?“
„Jethros Hose. Ich konnte ja wohl kaum im Damensattel durch die Gegend galoppieren. Wäre ich vom Pferd gefallen, hätte ich nicht wieder aufsteigen können.
Und jetzt lassen wir das Thema“, sagte sie ungeduldig. „Haben Sie schon etwas gefunden?“
„Wohl kaum. Ich war ja die ganze Zeit mit Ihnen beschäftigt. Wo hatten Sie diesen Kasten noch gesehen?“
Leise vor sich hinschimpfend ging Hester zum Sofa und kniete sich auf den Boden, wobei sie ein Stöhnen unterdrückte. Offenbar hatte sie sich bei ihrem Sturz auch die Knie aufgeschürft. „Hier. Er ist ganz nach hinten geschoben worden und mit einem Deckel geschlossen.“
Guy beugte sich vor und hob das Sofa kurzerhand an, um es zur Seite zu hieven.
Hester sah ihm bewundernd zu, beschloss aber, dass er ein Kompliment nicht verdient hatte, und so machte sie keine Bemerkung. Als sie den Deckel des Kastens zu öffnen versuchte, wollte es ihr nicht gelingen.
„Er ist verschlossen.“
Es überraschte sie schon gar nicht mehr, als Guy plötzlich aus seiner Tasche ein Bündel dünner metallischer Gegenstände hervorholte und damit das Schloss zu bearbeiten begann.
„Wo haben Sie so etwas her?“, flüsterte sie.
„Einer meiner Diener hat eine etwas dunkle Vergangenheit. Seien Sie still, ich muss horchen.“
Ob es nun Anfängerglück war oder Geschicklichkeit, wusste Hester nicht zu sagen, in jedem Fall dauerte es nicht lange, bis das Schloss nachgab. Guy nahm den Deckel ab, und Hester griff hinein. „Sehen Sie, hier ist der Brief.“
Guy begann ihn zu lesen, während Hester den übrigen Inhalt untersuchte.
„Rechnungen für die Bauarbeiten am Moon House von 1760. Und hier ein Tagebuch vom 31. Juli 1764. ‚Ich spürte nie das Bedürfnis zu schreiben, doch nun, da all mein Glück, all meine Hoffnung auf Hilfe verloren sind, werde ich alles schriftlich niederlegen, denn wem könnte ich mich sonst anvertrauen. Mein Liebling Allegra ...‘“
Hester seufzte. „Nein, der Rest ist unleserlich.“
Sie warf Guy einen Blick zu, aber seine Miene war starr und verriet keine seiner Regungen. So sehr sie ihn gern gefragt hätte, was in ihm vorging – hier war nicht der rechte Ort dafür. Sie durchwühlte die Papiere, meistens Rechnungen, bis sie den Boden des Kastens erreichte.
„Hier gibt es nichts Interessantes mehr. Nein, warten Sie.“ Sie entdeckte eine Kette, und als sie sie herausholte, sah sie, dass ein Medaillon daran hing. Es schnappte unter dem Druck ihrer Finger auf und enthüllte auf der einen Seite ein Bild der blonden Dame von dem zerfetzten Gemälde und auf der anderen das eines kleinen Kindes, das kaum zwei Jahre alt sein durfte. Es hatte die gleichen blonden Locken und tiefblauen Augen wie der Mann an ihrer Seite, der jetzt nach dem Medaillon griff.
„Das nehme ich.“ Er flüsterte, doch Hester hörte in diesen wenigen geraunten Wörtern so viel Schmerz, dass es ihr den Atem raubte.
„Was ist mit dem Brief?“
„Der kann wieder hinein. Kein Wunder, dass sie an einen Schatz im Moon House glauben. Darin wird immer wieder auf etwas sehr Wertvolles, Kostbares angespielt, auf das Acht gegeben und das beschützt werden sollte.“
Hester sah ihn ernst an. „Wissen Sie jetzt alles?“
Er nickte wortlos. Den Kasten stellte sie wieder an seinen Platz, und dann half sie Guy, das Sofa wieder an die gewohnte Stelle zu schieben. Schnell entfernte er das Kissen von der Tür und holte die Laterne. Nachdem sie lautlos hinausgeklettert waren, schloss er das Fenster.
„Gehen Sie jetzt auf der niedrigen Mauer weiter“, flüsterte er Hester zu.
„Ich weiß. Was glauben Sie, wie ich hierher gekommen bin?“
„Auf einem Besen.“
Wütend wirbelte sie zu ihm herum. „Das war unfreundlich, ungerecht ...“
Plötzlich fiel Licht vom Haus direkt auf sie, und es war mehr als nur der Schein einer einzelnen Kerze. Jemand hatte jedes Licht im Raum angezündet und dann abrupt die Vorhänge aufgezogen.
Guy und Hester verharrten wie erstarrt dicht nebeneinander. Lewis stand mit dem Rücken zum Fenster, und seine Schwester, im Begriff, die Bänder ihres Hutes zu lösen, kam auf ihn zu. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auf die Terrasse hinausschauen und die Eindringlinge entdecken würden.
18. KAPITEL
„Laufen Sie!“, flüsterte Guy, und Hester befolgte seinen Befehl. Ohne zu zögern und geschickt lief sie über den schmalen Mauerrand, bis sie zu dessen Ende kam, wo sie sich geräuschlos auf die Erde herabließ. Trotz
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