02 - komplett
ihrer Erleichterung bereits einen Eimer Wasser vom Brunnen geholt und ihn in das mit Schieferplatten ausgelegte Spülbecken gestellt. Hester füllte eine kleine Schüssel mit Wasser, fand eine uralte Bürste auf der Fensterbank und fing an, damit den Küchentisch zu bearbeiten. Es würde Stunden brauchen, bevor sie den richtig sauber bekam, aber zumindest war es ihnen dann möglich, ihr Mahl einzunehmen.
Als sie fertig war, breitete sie ein Tuch über den Tisch aus und stellte Brot, Käse, ein Glas Pickles und etwas Butter darauf. Danach schaute sie, was es in den Küchenschränken zu finden gab.
Jethro kam eine halbe Stunde später mit einem riesigen Tonkrug Ale zurück, den er erleichtert aufseufzend auf den Tisch in der Küche stellte.
„Das ist eine Kanne, wie sie immer die Pflüger gekriegt haben“, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Hester stellte den Stapel Teller ab, den sie in kaltem Wasser gewaschen hatte, und fragte neugierig: „Woher weißt du das?“
„Kann mich nicht erinnern“, antwortete er leichthin, öffnete den zweiten Korb und holte diverse Dinge heraus. „Sie schicken uns später das ganze Fässchen, aber ich dachte, jetzt brauchen wir auch schon etwas Bier.“
Hester seufzte. Sie hatte den Jungen vor über einem Jahr bewusstlos in einer Gasse von Old Holborn gefunden. Er war dem Verhungern nahe gewesen, und unzählige Narben hatten seinen dürren Rücken bedeckt. Nachdem sie ihn zu sich nach Hause in die Mount Street gebracht hatte, wollte er bis auf seinen Namen nichts über sich oder seine Vergangenheit verraten. Hester vermutete, dass er vom Lande stammte, denn kein echter Londoner sprach wie Jethro. Und diese kleine Geschichte über die Feldarbeiter schien ihre Annahme zu bestätigen.
„Hier ist Besteck.“ Sie schob es ihm zu und beschloss, ihn nicht weiter zu drängen.
Ihre eigenen bösen Erinnerungen genügten ihr, und sie konnte verstehen, warum er seine Geheimnisse lieber für sich behielt.
Schließlich setzten sie sich zu Tisch, den sie dicht vor den Herd geschoben hatten, um sich zu erwärmen. Hester nahm einen Schluck Ale aus einem Becher. „Ich hoffe, das Glasgeschirr kommt sicher mit Susan an. Wir bekommen morgen Besuch von einem Gentleman, dem ich Wein anbieten muss.“
„Wenigstens haben wir guten Wein“, erwiderte Jethro zufrieden. Die verstörende Erinnerung von eben schien vergessen zu sein. Er war wieder gelassen und guter Dinge.
„Ja. Und glücklicherweise habe ich einige Flaschen vom Madeira und dem Portwein in unsere Kutsche geladen. Der Rest kommt mit dem Fuhrwagen nach.“
John war so großzügig gewesen, ihr seinen Weinkeller zu hinterlassen, weil sie so oft gemeinsam ein Glas genossen hatten. Noch ein Grund mehr für seine Verwandten, in ihr eine verächtliche, ruchlose Frau zu sehen. Denn wer würde schon einer anständigen Frau ausgerechnet seinen Weinkeller vermachen?
Jethro riss sie aus ihrem schmerzhaften Tagtraum. „Was für ein Gentleman kommt denn, Miss Hester?“
„Nicht nur ein schlichter Gentleman, sondern sogar ein Earl, man höre und staune.“
Hester schob ihm die Visitenkarte zu, und Jethro riss die Augen auf.
„Sie werden doch Susan nicht die Tür öffnen lassen, Miss Hester, oder? Nicht am Nachmittag, meine ich.“
„Aber nein, Jethro. Ein weiblicher Dienstbote am Nachmittag? Wo denkst du hin?“
Hester unterdrückte ein Lächeln. „Ich werde mich darauf verlassen, dass du deinen besten Anzug anziehst und meinen Butler abgibst.“
Jethro strahlte vor Begeisterung, die selbst davon nicht getrübt wurde, dass sie heute und morgen den ganzen Tag hart würden arbeiten müssen, um wenigstens die Halle und einen der Salons herzurichten, bevor ihr hoher Gast erschien.
„Wir werden alle Möbel, die wir finden können, in einen der Salons tragen müssen.“
Hester kaute nachdenklich auf der Unterlippe. „Der Fuhrwagendienst wird morgen noch nicht angekommen sein, und hier im Haus ist das vorhandene Mobiliar eher spärlich, um es milde auszudrücken.“
„Und altmodisch.“ Da Jethro den Ehrgeiz besaß, es weit im Leben zu bringen, fielen ihm dergleichen Einzelheiten sofort auf.
„Aber von guter Qualität und von einer Frau ausgesucht. Vielleicht war die letzte Besitzerin eine ältere, allein lebende Dame oder Witwe.“
Das Gespräch wurde an diesem Punkt von der Ankunft der Postkutsche vor dem Haus unterbrochen. Susan Wilmott – rundlich, gutmütig und in diesem Moment mehr als erleichtert, endlich
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