02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
leise maunzend eine Frage. Dantes Finger suchten und fanden Eeries Kopf. Das warme, flauschige Fell fühlte sich wie Seide an. Allmählich wurde der Schmerz schwächer. Der Kater machte einen Buckel, schmiegte sich an Dantes Hand und drückte von neuem den Rücken durch.
Dante schniefte, um das Blut aus seiner Nase nicht aufs Bett tropfen zu lassen, und hob dann den Kopf. Er sah Eerie an und strich ihm über den gesamten Rücken bis zum Schwanz. Ein Gesang kräuselte sich in seinem Bewusstsein, eine Symphonie aus genetischen Saiten und einem verdrehten DNS-Rhythmus. Elektrizität knisterte in Dantes Fingern, und das reflektierende Licht spiegelte sich in Eeries Augen wider. Miauend lehnte sich die Katze gegen Dantes Bein.
Dieser schloss die Augen und spielte auf den Saiten, veränderte den Takt, fügte Melodien und neue Rhythmen hinzu. Er komponierte, ersann neue Akkorde. Er stellte sich Eerie wieder ganz vor. Stellte sich vor, wie der Kater herumspazierte und -flitzte.
Gerade als Dante seine Hände hob, jagte Schmerz einen misstönenden Gegenrhythmus über die von ihm gewebte Melodie. Das Lied zerriss und löste sich auf, ebenso wie die weiße Stille in seinem Inneren von einem Dröhnen von Wespen überrollt wurde.
Wollen mal sehen, wie lange du unten bleiben kannst.
Ich glaube, er ist tot. Ich glaube, du hast ihn umgebracht.
Tais toi, du Idiot. Wir f ihn in den Kofferraum.
Schmerz drang wie scharfe Messer in Dantes Gedanken. Er schlug die Augen auf. Weißliches Licht pulsierte am Rand seines Sehfelds. Dann überrollte in der Schlaf wie eine schwarze Welle unter seiner undurchdringlichen Oberfläche. Ein Bild jedoch folgte ihm in die Dunkelheit: das Bild Eeries, wie er vom Bett sprang und durch den Spalt der offenen Tür schlüpfte, während sein Fell von blauen Funken übersät war.
30
SALZ IN DEN WUNDEN
Gehenna, im Horst des Morgensterns · 23./24. März
Lilith zog den Schleier vom Kopf und zerknüllte ihn in ihrer Hand zu einem Ball, während sie in das große Wohnzimmer ihres Horsts marschierte. Luzifer stand in einem amethystfarbenen Rock und Platinreifen an Hals und Armen am Fenster. Sein Blick richtete sich auf die sterbende Nacht jenseits der Scheiben. Er neigte den Kopf in Liliths Richtung, sah sie aber nicht an.
»Ah, da bist du ja, meine Liebe«, sagte er. »Ich habe mich gefragt, wo du steckst.«
»Wann wolltest du mir von deinen Plänen heute Morgen berichten?«
»Im letzten Augenblick.« Er wandte sich zu ihr um. »Aber du warst fort.«
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Wirklich?«, flüsterte Luzifer. »Du hast auf mich den Eindruck gemacht, als schliefest du tief, als ich dich ansah.« Ein Lächeln huschte über seine Lippen. »Täuschst du vor, meine Liebe?«
»Wenn nötig.«
Er lachte leise. Seine nachtblauen Augen schimmerten im Dunkel hinter den Fenstern. »Das ist meine Lilith.«
»Ich bin nicht deine Lilith«, antwortete sie und schleuderte ihm ihren Schleier entgegen. Er flatterte wie ein rotes Blatt auf
den hellen, blankpolierten Boden. Unzufrieden starrte sie den Schleier an.
»Komisch«, sagte Stern. »Ich hätte schwören können, das bist du seit etwa fünfhundert Jahren.«
Ein Nephilim -Diener in einem rosenfarbenen Rock betrat den Raum und entzündete den Weihrauchkessel. Als er sich eine strohblonde Haarlocke hinter das Ohr schob, fiel Lilith sein Name ein: Vel, ein weiterer aus der niemals endender Brut von Halbblütern des Morgensterns. Der rauchige Duft der Myrrhe vermischte sich mit dem zarten Aroma des Jasmins, der sich an der nördlichen Wand des Zimmers emporrankte.
Nach einem Blick auf seinen Vater, um herauszufinden, ob dieser noch Anweisungen für ihn hatte, verließ Vel den Raum.
»Du musst mit Gabriel gesprochen haben«, stellte der Morgenstern fest und trat vom Fenster weg. »Da nur er von diesem Treffen weiß.«
»Ich war beim Chaosthron«, erläuterte Lilith, die es jetzt für das Klügste hielt, ihm dieselbe Geschichte zu erzählen, die sie auch Gabriel erzählt hatte. Sie hegte keinen Zweifel daran, dass sich die beiden miteinander austauschten. »Ich wollte mir vergegenwärtigen, was wir Luciens wegen verloren haben.«
Stern zog eine seiner weißen Augenbrauen hoch. »Lucien?«
»Samael«, verbesserte sie sich. Noch ehe sie etwas hinzufügen oder auch nur Luft holen konnte, drang ein schwaches Lied in ihr Bewusstsein – dunkel, schön und verzweifelt. Es verstummte sogleich wieder wie ein Geflüster, wie die letzten Reste von Schlaf, und
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