02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
das getan haben, was notwendig war, fangen wir neu an.« Sein Blick richtete sich auf sie und drang durch ihre Schilde, als ob sie nie existiert hätten.
Wir müssen einander vergeben.
Kalte Wut überkam Lilith. Wie war es möglich, dass ihm das nach all den Jahrhunderten, die inzwischen vergangen waren, noch so leicht gelang? Wieso vermochte er, ihr das Gefühl zu vermitteln, sie niemals betrogen zu haben, niemals von ihrer Seite gewichen zu sein? Als hätte sie ihm Unrecht angetan?
Lilith verschloss ihr Bewusstsein und fuhr ihre Schilde hoch. Sie hob den Becher und trank den Wein in einem Zug aus. Eine Magd in einer rosafarbenen Toga ergriff eine Kanne und eilte zu ihr, um ihren Becher erneut zu füllen. Die Nephilim schenkte ihr vorsichtig ein und kehrte dann an ihren Platz an der Wand zurück.
»Ja, das gefällt mir«, sagte Stern. Er klang ehrlich. Neugierig lehnte er sich vor und sah Lucien an. »Ich verspreche, diesen Schöpfer zu beschützen, ihn vor Gabriel zu verbergen, damit ihm kein Unrecht geschieht. Ich werde Gehenna zu neuem Leben erwecken und den Creawdwr auf den Chaosthron setzen, wohin er gehört. Wir fesseln ihn und lieben ihn …«
»Du machst einen Fehler«, sagte Lucien. »Es gibt keinen Creawdwr .«
»Oh doch! Ich habe seinen Gesang kurz vor Sonnenaufgang vernommen.«
Die Augen des Morgensterns funkelten wütend, seine Gefühle waren so heftig, dass es Lilith für das Beste hielt, gar nicht erst zu versuchen, ihn zu besänftigen.
»Dann musst du zu viel Wein getrunken haben«, antwortete Lucien kalt und distanziert. Er stand auf, wobei er erneut die Kette seiner Fesseln mit beiden Händen festhielt.
Einen Moment lang sah Lilith vor ihrem inneren Auge das Bild Luciens, wie er Jahwes leblosen Körper an sich presste. Würde Lucien auch seinen Sohn töten, weil er in seinem Wahn glaubte, ihn vor seinem rechtmäßigen Platz auf dem Chaosthron beschützen zu müssen?
»Wenn du diesen jungen Creawdwr nach Hause bringen würdest«, sagte Stern, »bin ich mir sicher, dass dir deine anderen Vergehen vergeben werden würden. Dann wärst du wieder frei und könntest entweder hierbleiben oder in die Welt der Sterblichen zurückkehren.«
»Diese Unterhaltung langweilt mich«, sagte Lucien. »Bring mich zurück in den Abgrund.«
Der Morgenstern fuhr sich mit einer Hand durch das kurze Haar, warf Lilith einen raschen Blick zu und nickte dann. »Wie du willst. Sobald du wieder kopfüber in der Hitze und Dunkelheit baumelst und die Chalkydri deinen Körper quälen, hoffe ich, dass du dich an unsere Diskussion erinnern wirst.«
»Oh, an jedes Wort«, antwortete Lucien. »Ein guter Witz erfreut mich immer.«
Du bist dran, meine Liebe, sendete der Morgenstern an Lilith, ein ironisches Lächeln auf den Lippen.
Ich werde mir sein Vertrauen erschleichen, Teuerster. Am Besten gehst du und lässt mich mit ihm allein.
Die Nephilim in der rosa Toga erhob sich, als ob man sie gerufen hätte, und näherte sich respektvoll dem Morgenstern. Das Mädchen war neu, sinnierte Lilith, aber sie kam ihr bekannt vor. Wenn man ihre weizenblonden Locken bedachte, war sie vermutlich einfach nur ein weiteres Halbblutkind Sterns.
Das Mädchen flüsterte Stern etwas ins Ohr und trat ein paar Schritte zurück. Er erhob sich mit einer fließenden Bewegung, wobei sein amethystfarbener Rock um seine Beine schwang. »Eine dringende Angelegenheit«, erläuterte er. »Ich muss es leider dir überlassen, meine Liebe, unseren Gast nach Sheol zurückzuschicken.«
Lilith nickte. »Natürlich, mein Lieber.«
Stern verließ das Zimmer, gefolgt von seiner Tochter und Dienerin. Sobald er verschwunden war, wurde es im Raum deutlich dunkler, obwohl draußen unterdessen die Sonne aufging.
Gleichzeitig entspannte sich die Atmosphäre, als könnten die beiden nun endlich frei atmen.
Lucien sah Lilith an. Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen. »Dann bist jetzt du dran?«
Ja, das soll der Morgenstern glauben, sendete sie. Bitte tu, was ich dir sage. Sie erhob sich von ihrem Diwan und ging um den Roteichentisch zu der Stelle, wo Lucien mit ausdruckslosem Gesicht stand. »Ich weiß, du willst Gabriel genauso vom Thron stoßen wie wir.«
Lucien nickte. »Ja. Aber ich verberge keinen Schöpfer. Ich weiß nicht, wie deutlich ich es noch sagen soll.«
»Die Tatsache, dass du Loki in Stein verwandelt hast, spricht gegen dich«, meinte Lilith, »und wenn Gabriel davon erfährt, wird er davon überzeugt sein, dass du etwas
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