02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
verbirgst.«
»Das Einzige, was man daraus ablesen kann, ist, dass Loki mich geärgert hat.«
Lilith lachte sanft. »Mich ärgert er auch immer wieder.« Ich habe heute Morgen den Gesang deines Sohns gehört. Sag ihm, er soll still sein.
In Luciens Augen spiegelte sich Sorge. Er hat unsere Verbindung gekappt. Wenn ich ihn zwinge, sie zu öffnen, wird ihn das nicht nur verletzen, sondern auch den anderen enthüllen, dass es eine solche Verbindung gibt. Dass es ihn gibt.
Eine Verbindung, der andere nachgehen könnten. Lilith fasste ihr schweres Haar über einer Schulter zusammen und begann, es zu einem Zopf zu flechten, während sie nachdachte. Warum hat dein Sohn die Verbindung gekappt?
Er glaubt, ich hätte ihn belogen.
Hast du?
»Vielleicht«, flüsterte Lucien. Er stolperte einen Schritt vorwärts, auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Lilith hielt ihn gerade noch rechtzeitig an den Schultern fest und half ihm, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Tut mir leid. Mich scheint allmählich die Kraft zu verlassen.« Ein gespenstisches
Lächeln huschte über seine Lippen. Seine Haut brannte unter ihren Fingern, und sein Geruch nach Erde und grünen Blättern stieg ihr in die Nase und ließ sie erneut an die Vergangenheit denken.
Lilith ließ ihn los, kehrte zum Tisch zurück und goss noch einen Becher Wein ein. Sie drückte ihm das Gefäß in die bebenden Hände. »Trink«, drängte sie.
Gabriel hat vor, in dein Bewusstsein einzudringen, sobald du zu schwach bist, dich gegen ihn zu wehren, sendete sie. Dieser Feigling.
Ein Muskel zuckte in Luciens Unterkiefer. Er trank den Wein in einem Zug. Dann drückte er den feuchten, kühlen Becher an seine Stirn und schloss die Augen. »Du kannst mich jetzt wieder zurückschicken«, erklärte er. »Ich habe nichts mehr zu sagen.«
Gibt es Hoffnung auf Flucht?, sendete er. Wenn nicht, musst du für mich Dante vor Gabriel und dem Morgenstern beschützen. Er senkte den Becher und schlug die Augen auf. Lilith sah die Hoffnungslosigkeit in seinen golddurchsetzten Pupillen, und dieser Anblick brach ihr fast das Herz.
Sie dachte an Hekate und wie es sich angefühlt hatte, als man ihr ihre silberhaarige Tochter entrissen hatte. Voller Leid erinnerte sie sich an die Furcht im Gesicht des Kindes, nachdem Gabriel es nach dem siegreichen Kampf an sich gebracht hatte.
Sie wird an meinem Hof als Geisel bleiben, um mich deiner Kooperationsbereitschaft zu versichern.
Aber das ist doch nicht nötig, Gabriel. Ich schwöre dir bei meinem Namen, dass ich dir keinerlei Schwierigkeiten bereiten werde.
Lilith, du weißt genauso gut wie ich, dass ich dir nicht glauben kann. Sobald ich dir den Rücken kehre, wirst du einen Plan aushecken, wie du mir den Thron wieder entreißen kannst.
Diesmal nicht. Nicht mehr. Lass mir meine Tochter. Ich flehe dich an.
Still, meine Liebe. Hekate wird es gutgehen. Gabriel hat es mir versprochen.
Du hast davon gewusst? Du hast ihm unsere Tochter überlassen? Unsere Tochter, Stern?
Lilith erinnerte sich an Luciens Worte, die er vor vielen Jahrtausenden zu ihr gesagt hatte: Ihr werdet ihn nie mehr benutzen. Alles, was ihr seit jenem Tag zugestoßen war, hatte seinen Ausgangspunkt in dem Mord an Jahwe – durch ihren Cydymaith.
Lilith nahm Lucien den Becher aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch. Mit einem Zucken ihres Geistes rief sie zwei Chalkydri herbei. Sie sah ihren früheren Cydymaith an. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, log sie. Falls alle Stricke reißen, werde ich zumindest deinen Sohn beschützen.
Vor dir.
Lucien hob eine Hand, und die Ketten klirrten, als er über Liliths Wange strich. »Wir tun alle das, was wir tun müssen, Lili«, flüsterte er. Dann hob er den Kopf. »Jeder von uns.«
»Ja«, sagte sie. »Das tun wir.«
Wenn ich deinen Sohn finde, kann ich endlich meine Tochter befreien.
Der Morgenstern schritt aus dem Eingang des Horsts auf die Landegalerie hinauf. Ein schwaches aprikosen- und rosafarbenes Licht schimmerte auf dem Stein. Er hielt an der Balustrade inne und wandte sich dann Eris zu.
»Nun gut«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hast du herausgefunden?«
Eris zog ein Stück Papier aus der Tasche ihres Gewandes. »Ich bin Lilith gefolgt, wie du mir befohlen hast, und …«
»Für dich ist sie noch immer die Herrin«, fuhr der Morgenstern sie an.
Eris erstarrte, dann senkte sie den Kopf. »Ja, Herr und Vater. Ich bin also der Herrin in den königlichen Horst gefolgt, wo sie
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