02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
nur die Sachen, die sich nicht ersetzen lassen. Alles andere – Einrichtungsgegenstände, Hausrat, Fernseher – lasse ich zurück.« Lyons’ Geschichte mochte wahr sein oder nicht – sie hatte sie jedenfalls davon überzeugt, dass sie mit ihrem Verdacht seit dem Treffen mit Rodriguez, Rutgers und ihrem Vater Recht gehabt hatte.
Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Du musst verschwinden .
Dank ihres Vaters war die Sanduhr gerade abgelaufen.
Vor ihrem inneren Auge sah sie James William Wallace im flackernden Neonlicht der Tiefgarage stehen. Ich will, dass wir wieder eine Familie sind, Heather. Wir alle.
Heathers Kiefer verkrampften sich. Wir waren nie eine Familie. Ihr Vater hatte sie belogen, aber von ihm hatte sie im Grunde auch nichts anderes erwartet. Doch die Erkenntnis,
dass er dieselbe billige Lüge benutzt hatte, um aus Annie Informationen herauszubekommen, ließ Heather fast würgen. Sie würde ihm nie vergeben, dass er Annie benutzt hatte.
Heather hatte versucht, mit ihr über das zu sprechen, was Lyons gesagt hatte. Aber Annie, die endlich Heathers Bademantel trug, hatte sich geweigert, sie auch nur anzuschauen, und sich in ihr Zimmer zurückgezogen.
»Wir können später darüber reden, wie deine Pläne aussehen«, sagte Von.
Heather sah ihn an. Er wies mit dem Kopf auf Lyons. Der Halbmond, der unter dem Auge des Nomad eintätowiert war, schillerte wie Frost in einer Winternacht. »Was bist du eigentlich genau?«, wollte sie wissen.
»Was ist denn das für eine Frage?«
»In der Gesellschaft der Nachtgeschöpfe, meine ich. Llygad. «
Von strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den Oberlippenbart. Seine Miene wirkte zerstreut. »Gut.« Er kehrte zum Fernsehsessel zurück, setzte sich und zog seine Stiefel an. Dann fasste er nach hinten, zog den Gummi aus seinem Pferdeschwanz und schüttelte sein Haar. Es fiel ihm in einem tiefen, schimmernden Braun über die Schultern.
Gerade als Heather annahm, er werde nichts weiter sagen, meinte er: »Wir sind die Bewahrer der Geschichte der Nachtgeschöpfe – die unabhängigen Augen der Wahrheit.«
Heather dachte einen Augenblick lang nach. Sie erinnerte sich, wie er regungslos neben Dante gestanden hatte, als Ronin diesen im Club Hell besucht hatte. »So etwas wie Zeugen?«
»Mehr oder weniger.« Von zog sein Haargummi über seine Hand. »Früher einmal – so erzählte man mir – nannte man uns Filidh . Das waren Kriegerbarden. Wir behüteten und erzogen, formten die Geschichte und die Wahrheit und machten daraus Epen. Aber selbst das beinhaltet nicht alles, was unsere Aufgabe ist.«
»Sind alle Llygads Nachtgeschöpfe oder können sie auch Sterbliche oder Gefallene sein?«
» Llygaid, Püppchen. Der Plural heißt Llygaid , und um den Job können sich nur Nachtgeschöpfe bewerben.« Vons Blick kehrte zur Couch zurück. »Da ist jemand wach und tut nur so, als würde er schlafen.«
Lyons öffnete zuerst ein Auge und dann das andere, als er Vons Bemerkung hörte. Er setzte sich auf und rieb sich das Gesicht. »Habe ich plötzlich anders geatmet, oder was hat mich verraten? Etwas an meinem Geruch?« Ein warmes, freundliches, offenes Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.
Wahrscheinlich funktioniert das immer, dachte Heather. Wetten, dass dieses Lächeln sowohl schon Verbrecher als auch andere Agenten dazu veranlasst hat, nicht mehr so vorsichtig zu sein?
»Sag ich nicht.« Vons Stimme klang scharf und kalt wie ein Eiszapfen. Er erhob sich.
»Ich habe Nachforschungen angestellt, während Sie schliefen«, sagte Heather. »Ich habe festgestellt, dass Sie in Damascus leben und das Haus einer gewissen Gloria Lyons gehört.« Lyons’ Lächeln wurde kraftloser. »Ihrer Mutter.«
Lyons nickte, sein eindringlicher meergrüner Blick bohrte sich in den ihren.
»Aber über Ihren Vater habe ich nichts herausgefunden«, fuhr Heather fort und verlagerte ihr Gewicht auf eine Hüfte. »Was seltsam ist. Das wirklich Seltsame ist allerdings der Nachname Ihrer Zwillingsschwester: Athena Wells. Wollen Sie das vielleicht erklären?«
»Es ist kompliziert«, erwiderte Lyons.
»Was ist kompliziert?«, flüsterte Dante heiser. Er war plötzlich hinter Heather aufgetaucht.
Alex’ Mund wurde trocken. Die Hand des Nomads krallte sich in seine Schulter.
Dante stand unter der Tür, die in den Flur führte. Sein Oberkörper war nackt, er war barfuß und trug seinen Bondagereif und eine schwarze Lederhose, deren Gürtel er in den blassen Fingern hielt. Seine Augen
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