02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
glatten Flügel ragten halb gefaltet hinter dem Mann in die Höhe, als er sich hinkniete und nach einem der beiden die Hand ausstreckte, die zusammengebrochen auf dem gefliesten Boden lagen.
Eine tiefe, sonore Stimme mit der Andeutung eines europäischen Akzents drang durch die Lautsprecher des Rechners. Als er die Worte zum ersten Mal hörte, lief es Wells auch diesmal eiskalt den Rücken hinunter.
»Räche deine Mutter und übe Rache für dich selbst.«
S erhebt sich aus den Armen des Wesens und steht auf, sein Körper angespannt und verkrampft, sein atemberaubend schönes Gesicht blutverschmiert. Der Korridor ist inzwischen in ein rotes Licht getaucht. Er steigt wie ein Phönix aus der Asche – wie ein lodernder, strahlend schöner, furchterregender Gott.
Wells drückte auf PAUSE und goss sich Cognac nach. Bis er die Aufzeichnungen gesehen hatte, war für ihn der verstorbene Elroy Jordan – Psychopath, Sadist und Serienmörder – Bad Seeds größter Erfolg gewesen. Doch jetzt sah er das anders.
Der wunderschöne Junge, der sich soeben auf dem Monitor wieder vom Boden erhoben hatte, war der wahre Sieger.
Lächelnd nahm Wells einen weiteren großen Schluck Cognac.
10
FLÜSTERN
Damascus, Oregon · 22. März
»Atmet die kranke Alte noch immer?«, fragte Athena. Sie saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Sofa, den Blick auf den Laptop in ihrem Schoß gerichtet. Der Laborkittel, den sie über ihrer Jeans trug, war verschmiert und voller Blutspritzer und anderer Flüssigkeiten.
»Mutter atmet noch – ja«, antwortete Alex und gab der Tür mit dem Fuß einen Stoß, so dass sie ins Schloss fiel. Dann stellte er das Tablett mit den Medikamenten, die seine Schwester abends nehmen musste, auf dem Couchtisch ab.
»Gut. Ich will nicht, dass sie stirbt, ehe ich sie töten kann.«
»So mögen wir dich.«
Im Zimmer roch es nach erhitzten Stromkreisläufen und Zimt-Potpourri. Doch Alex nahm auch noch etwas anderes wahr – den Gestank fauler Eier und verbrannter Haare, der von Athenas kleinem Labor aufstieg. »Wie ist das Experiment gelaufen?«
»Erfolglos«, antwortete sie. »Ich brauche mehr Material.«
»Gut, ich werde mich darum kümmern.« Alex setzte sich neben seine Schwester auf die Couch. »Was hast du heute noch gemacht?«
»Studiert.« Ihre Augen wanderten unruhig über die Bilder auf dem Monitor, immer wieder von links nach rechts und wieder zurück.
»Ah.« Das bedeutete, sie hatte Dante studiert und noch einmal die Aufnahmen aus der medizinischen Abteilung des Bush-Centers angesehen. Er seufzte. »Wir müssen reden.«
»Über …?« Athena sah auf. Das Lampenlicht spiegelte sich in ihren Augen wie Sonnenschein auf einer ruhigen Wasseroberfläche. Für einen Moment wirkten ihre Pupillen durchsichtig und erinnerten an ein stilles Meer.
»Darüber, was jetzt passieren soll.«
»Ich höre«, sagte sie und wandte den Blick wieder dem Monitor zu.
Alex streckte die Hand aus und klappte den Deckel des Laptops zu. »Es reicht. Du solltest das nicht länger ansehen. « Er nahm ihr den Computer ab, auch wenn sie diesen noch einen Moment festhielt, und stellte ihn auf den Couchtisch.
»Aber ich muss ihn verstehen«, protestierte sie. »Wenn ich ihn anschaue, kann ich nichts jenseits von ihm entdecken, und ich weiß nicht, was das bedeutet.«
»Du bist einfach müde«, meinte Alex. »Du musst dich ausruhen. « Die dunklen Ringe unter ihren Augen bewiesen, dass er Recht hatte, und waren zudem ein Hinweis auf all die ruhelosen, schlaflosen Nächte, die sie hinter sich hatte. Dennoch waren ihre Visionen immer richtig, ob sie schlief oder nicht, ob sie ihre Medikamente nahm oder wegließ.
Visionen, von denen ihr Vater nichts wusste.
»Ich muss herausfinden, wie man Dante deprogrammieren kann.«
»Darüber kannst du nachdenken, wenn ich ihn herbringe. Komm. Etwas frische Luft. Medikamente. Beweg mal wieder deinen Arsch.« Er griff nach Athenas Hand und zog sie auf die Füße. Dann führte er sie durch die Küche zur Hintertür und nach draußen, ehe er hinter ihnen die Tür wieder schloss.
Alex ließ ihre Hand los, als sie sich in die Hollywood-Schaukel auf der Terrasse setzte. Er machte es sich neben ihr
bequem. Das Holz gab ein wohliges Knarzen von sich. Ohne hinzusehen fasste er erneut nach Athenas Hand. Ihre Finger fühlten sich warm und hart an, als sie mit den seinen verschränkte.
Behaglich sog er die feuchte, nach Kiefern duftende Luft ein. »So ist es besser.«
»Wenn du
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