02 - Tanz der Sehnsucht
mit zwei irischen Elternteilen gesegnet war, die beide eine unglaubliche Fantasie besaßen, dann konnte nur der Himmel Grenzen setzen.
Sie hatte so viel von ihnen gelernt - und wenig an trockenem Schulwissen. Den Mississippi zu sehen war anschaulicher, als nur von ihm zu hören.
Englisch, Grammatik und Literatur waren von selbst durch die Bücher gekommen, die ihre Eltern geliebt und auch ihnen zum Lesen gegeben hatten.
Praktische Mathematik war eine Sache des Uberlebens gewesen. Ihre Ausbildung war ebenso ungewöhnlich gewesen wie ihre Unterhaltung, und doch glaubte sie, eine umfassendere
Allgemeinbildung zu haben als die meisten.
Maddy hatte die Parks und Spielplätze nicht vermisst. Ihre ganze Kindheit war ein einziges Karussell gewesen. Doch heute, als Frau, versäumte sie keine Gelegenheit, im warmen Sommerregen spazieren zu gehen.
Im Regen spazieren zu gehen würde Roy nicht gefallen. Es würde ihm nicht im Traum einfallen. Ihre Welten lagen meilenweit auseinander.
Ihr rechter Fuß ging in Seitenposition, zurück, vor, zur Seite. Wiederholen. Wiederholen.
Wahrscheinlich war er ein vernünftiger und vielleicht etwas skrupelloser Mensch. Als Geschäftsmann konnte man sonst nicht überleben.
Aber niemand würde es als vernünftig bezeichnen, jeden Tag
den Körper mit unnatürlichen Positionen zu beanspruchen. Niemand würde es als vernünftig bezeichnen, sich mit Leib und Seele dem Theater zu verschreiben und ganz den Launen des Publikums ausgeliefert zu sein. Wenn sie selbst skrupellos war, dann nur hinsichtlich der Anforderungen, die sie körperlich an sich stellte.
Warum konnte sie nicht aufhören, an ihn zu denken? Aber sie konnte einfach die Bilder nicht vertreiben, wie das Sonnenlicht auf seinem Haar gelegen hatte, es verdunkelt, Glanzlichter darauf geschaffen hatte ... Oder wie sein Blick ihrem begegnet war, direkt, erstaunt und zynisch. War es närrisch, wenn sich eine Optimistin von einem Zyniker angezogen fühlte? Natürlich war es das. Aber sie hatte schon viel närrischere Dinge gemacht.
Es hatte einen Kuss gegeben, der kaum Kuss genannt werden konnte. Er hatte sie nicht umarmt, er hatte seine Lippen nicht hungrig auf ihre gepresst. Doch sie erlebte diesen Augenblick kürzester Körperberührung immer wieder. Irgendwie glaubte sie - nein, war sich sicher, dass es auch ihn nicht ungerührt gelassen hatte. Mochte es auch närrisch sein, doch sie beschwor diese Woge der Empfindung erneut herauf und erlebte sie wieder. Es fügte dem ohnehin schon erhitzten Körper einiges an Hitze hinzu. Ihr Herzschlag, der schon entsprechend der Anstrengung des Trainings schlug, steigerte sich.
Erstaunlich, was allein die Erinnerung an ein Gefühl ausrichten konnte. Als sie in eine Abfolge von Pirouetten überging, beschwor sie das Gefühl erneut zurück und wirbelte mit ihm herum.
Das Haar tropfte noch von der Dusche, als Maddy ihren hellgelben Flickenoverall überzog. Der Waschraum roch schwer nach Sprays und Puder.
„Ich bin dir wirklich dankbar, dass du mir von dieser Schule erzählt hast." Wanda, in eng anliegenden Jeans und Pullover, zupfte ihr Haar in einen künstlich zerzausten Knoten. „Hier wird mehr verlangt als in der, wo ich vorher war. Und fünf Dollar billiger."
„Sie haben hier eine Schwäche für Zigeuner."
Maddy beugte sich vor und richtete den Haarföhn auf die Unterseite ihrer Haare.
„Hilfsbereitschaft ist in deiner Position nicht selbstverständlich."
„Nun hör aber auf, Wanda."
„Es ist nicht überall die große Schwesterlichkeit, Schätzchen." Wanda betrachtete Maddy im Spiegel.
Obwohl deren langes Haar über ihrem Gesicht hing, war doch ein missbilligendes Stirnrunzeln zu erkennen. „Du kannst mir nicht erzählen, du würdest nicht spüren, wie andere Tänzer nach deiner Position schielen."
„Das lässt einen nur härter arbeiten." Zu ungeduldig, sie zu trocknen, warf Maddy das Haar mit einer Kopfbewegung zurück. „Wo hast du die Ohrringe her?" Wanda hatte gerade grellrote Pyramiden, die ihr fast bis auf die Schultern reichten, im Ohr befestigt. Maddy trat auf sie zu und bewunderte die Gehänge. „Ob es die auch in Blau gibt?"
„Wahrscheinlich. Magst du schreienden
Modeschmuck?"
„Ich liebe ihn."
„Ich tausche die gegen das Sweatshirt von dir, das mit den vielen Augen drauf."
„Abgemacht", erwiderte Maddy augenblicklich.
„Ich bringe es zur Probe mit."
„Du siehst glücklich aus."
Maddy lächelte, stellte sich auf Zehenspitzen, um ihr Ohr dicht an
Weitere Kostenlose Bücher