02 - Tanz der Sehnsucht
er sich entziehen musste. „Das Essen war ausgezeichnet, Maddy. Und die Gesellschaft."
„Freut mich. Wir wiederholen es."
Es war impulsiv gewesen, so wie normalerweise bei Maddy. Sie dachte nicht lange darüber nach.
Freundschaftlich legte sie die Hände auf seine Schultern und berührte mit ihren Lippen seinen Mund. Der Kuss dauerte weniger als eine Sekunde, doch er wirkte mit der Gewalt eines Hurrikans.
Er spürte ihre weichen Lippen und einen feinen erregenden Duft. Als sie zurücktrat, hörte er sie schnell, überrascht einatmen und bemerkte das Widerspiel dieser Überraschung in ihren Augen.
Was war das, dachte sie. Gütiger Himmel, was war das? Sie war eine Frau, die an freundschaftliche Küsschen und Umarmungen, an beiläufige Berührungen gewöhnt war. Doch noch nie hatte sie sich davon so aufgewühlt gefühlt. Dieser kleine Körperkontakt hatte in ihr Ahnungen von all dem, was sie sich je erträumt hatte, erweckt. Und sie wollte mehr. Doch als Tänzerin hatte sie auch gelernt, auf Genüsse zu verzichten, und so fiel ihr auch jetzt die Kontrolle leichter, als das Feuer ein zweites Mal anzufachen.
„Ich freue mich, dass Sie gekommen sind." Die Unsicherheit in ihrer Stimme erstaunte sie.
„Ich mich auch." Es war nicht oft, dass er Zurückhaltung üben musste. Doch in diesem Fall, das wusste er, musste er es. „Gute Nacht, Maddy."
„Gute Nacht." Sie blieb stehen, wo sie stand, während er hinausging. Und dann gehorchte sie ihrem Körper und setzte sich. Dann fiel ihr Blick auf die Pflanze, die mit welken, gelblichen Blättern im dunklen Fenster stand. Merkwürdig, Maddy hatte nicht bemerkt, dass sie selbst viel zu lang im Dunkeln gewesen war.
3. KAPITEL
it der durchgestreckten Haltung der Balletttänzer stand Maddy an der Stange, während der Lehrer die einzelnen Positionen aufrief - plié, tendu, attitude -
beugen, strecken, Haltung. Arme, Beine und Körper kamen ihm in unendlicher Wiederholung nach.
Das Balletttraining morgens diente dem Körper als unaufhörliche Erinnerung, dass er tatsächlich zu den unnatürlichsten Bewegungen fähig war. Ohne diese Routine würde der Körper sich weigern, das Bein aus der Hüfte herauszudrehen, als wäre sie ein Kugelgelenk, würde sich weigern, sich über einen bestimmten Punkt hinaus zu beugen und zu strecken.
Es war nicht erforderlich, sich völlig zu konzentrieren. Maddys Körper folgte in dieser Routine allein dem Instinkt. So konnten ihre Gedanken wandern, weit genug, um zu träumen, nah genug, um die Vorgaben zu hören.
„Grand plié!"
Ihre Knie beugten sich, ihr Körper ging langsam hinunter, bis der Po direkt über den Fersen war.
Muskeln zitterten und beruhigten sich wieder. Sie fragte sich, ob Roy schon in seinem Büro war?
Wahrscheinlich ja. Wahrscheinlich würde er aus Gewohnheit vor seiner Sekretärin im Büro erscheinen. Würde er überhaupt an sie denken?
„Attitude en avant!"
Das Bein hob sich um neunzig Grad.
Wahrscheinlich nicht, gingen Maddys Gedanken weiter. Wahrscheinlich war sein Kopf so voll mit Terminen und geschäftlichen Verabredungen, dass er für keinen abweichenden Gedanken Zeit hatte.
„Battement fondu!"
Sie drückte den Fuß von hinten ans Knie, welches sich gleichzeitig beugte. Ganz langsam drückte sie es durch, wobei sie den Widerstand des Fußes spürte und benutzte. Jetzt musste er auch nicht an sie denken. Später, vielleicht auf dem Weg nach Hause, bei einem ruhigen Drink, würden seine Gedanken zu ihr wandern. Sie wollte das glauben.
Maddys graues Trikot war feucht, als das Spitzentraining begann. Die Übungen, die sie gerade an der Stange durchgeführt hatten, wür den jetzt wiederholt werden. Auf Kommando nahm sie die fünfte Position ein und begann.
„Eins, zwei, drei, vier. Zwei, zwei, drei, vier."
Draußen regnete es. Maddy konnte den
strömenden Regen durch die kleinen, beschlagenen Fenster sehen, während sie nach Anweisung beugte, durchdrückte, streckte und ausharrte. Es musste ein warmer Regen sein, denn als sie heute Morgen zum Unterricht geeilt war, war die Luft feucht und drückend gewesen. Hoffentlich hörte er nicht auf, bis sie wieder hinauskonnte.
Als Kind hatte sie kaum einmal durch den Regen gehen können. Sie und ihre Eltern hatten mehr Zeit auf Proben und in Bahnhöfen verbracht als in Parks oder auf Spielplätzen. Ihre Eltern hatten die Unterhaltung gebracht, mit Spielen, Rätseln und Geschichten. Hochfliegende, verrückte Geschichten, die eigene Welten erschufen. Wenn man
Weitere Kostenlose Bücher