0200 - Ich stieß das Tor zur Hölle auf
suchte sie ebenso auf wie der deutsche Industrielle oder der französische Adelige. Entsprechend hoch waren ihre Honorare, doch die Gäste zahlten gern, denn die Voraussagen einer Tanith trafen fast immer ein. Bisher hatte sie kaum einen Flop erlebt. Man verließ sich auf sie, und man gab ihren Namen weiter.
So wussten die reichen Bekannten ihrer Kunden Bescheid, an wen sie sich zu wenden hatten, wenn es Probleme gab. Und Tanith war ausgebucht. Allerdings verteilte sie die Termine gut, nie mehr als drei in der Woche, denn sie wollte Zeit haben, sich mit ihrem Beruf hobbyistisch zu beschäftigen.
Sie hatte die Wirkung der Tarockkarten genau studiert. Sie kannte den Verlauf der Gestirne, wusste, welchen Einfluss sie auf die Menschen hatten, und ihr war bekannt, dass es zwischen Himmel und Erde Dinge gab, die mit der reinen Astrologie nicht zu erklären waren. Es war ihr gelungen, mit anderen Kontakt aufzunehmen. Durch ein Medium hatte sie andere Reiche kennengelernt.
Jenseitsreiche, in denen der Schrecken und die Angst zu Hause waren. Tanith war wirklich kein ängstlicher Mensch, doch was sie da geboten bekam, das jagte ihr schon Angst ein. Irgendwie hatte sie immer gefühlt, dass es Geister und Dämonen gibt, und diese Theorie war nun durch die Praxis bestätigt worden. Sie hatte es tatsächlich geschafft, Kontakt zu den anderen Welten aufzunehmen. Sehr intensiven sogar, nur war sie froh gewesen, dass die anderen in ihrer Welt blieben. Sie kamen nicht, hielten sich zurück, und das gab ihr Hoffnung.
Allerdings wurde ihr Innerstes auch aufgewühlt. Als Wahrsagerin und Astrologin fühlte sie eine gewisse Verantwortung auf ihren Schultern ruhen. Immer wieder stellte sie sich die quälende Frage, ob sie der Welt nicht Bescheid sagen sollte über das, was sie bei ihren Sitzungen gesehen hatte. Aber war die Welt überhaupt reif? Würden die Menschen einer modernen Zeit ihr glauben? Sie rechnete nicht damit, da es zu viele Ignoranten gab, die nur der Technik hörig waren. Und so behielt Tanith ihr Wissen für sich.
Aber sie forschte weiter. In langen, nächtlichen Sitzungen nahm sie mit dem anderen Reich Kontakt auf. Sie redete gedanklich mit den Herrschern, und sie erfuhr Dinge, die sie unter allen Umständen für sich behalten wollte. Die Erde war eingekreist. Eine unbeschreibliche Gefahr lauerte im Dunkel der anderen Dimensionen. Uralte, längst vergessene Dämonen schienen aus einem tiefen, langen Schlaf zu erwachen, um wieder von der Welt Besitz zu nehmen. Tanith hörte ihre Gespräche, nahm ihre Gedanken auf und erfuhr so manches.
Wer hatte je schon von einer Asmodina gehört, die sich die Tochter des Teufels nannte? Sie nicht und die meisten anderen Menschen auch nicht. Oder von dem Spuk, der Herrscher im Reich der Schatten sein sollte? Das alles waren Dinge, die Tanith für sich behalten wollte. Die Welt war einfach nicht reif.
Allerdings spürte sie als übersensible Frau, dass etwas in der Luft lag. Irgendeine Entscheidung stand dicht bevor, nur wusste sie nicht, welche Entscheidung dies war. Aber die anderen Welten oder in den anderen Welten war etwas in Bewegung geraten. Eine große Unruhe hatte sich ausgebreitet. Sie war wie ein dünner Nebelstreif, der sich allerdings immer mehr verdichtete und bestimmt zu einem Bild wurde, das sie empfangen wollte.
In der letzten Woche hatte sie alle Termine abgesagt, um sich auf die eine große Sitzung vorzubereiten. Sie musste konzentriert sein, durfte sich nicht ablenken lassen und hatte auch Christina, ihre Sekretärin, nach Hause geschickt. Nun war es soweit. In der folgenden Nacht sollte die Sitzung stattfinden, um ihr Wissen zu erweitern. Angst hatte sie kaum gekannt. Wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, musste sie zugeben, dass sie doch etwas bedrückte und ängstlich war.
Die andere Seite, so nannte sie die Dämonen immer, ließ nicht mit sich spaßen, und man konnte sie auch nicht manipulieren. Wenn man etwas von ihnen wollte, dann musste man sie zwingen, wobei niemand wusste, wie sie reagieren würden.
Positiv für das Medium oder negativ. Tanith schaute auf ihre Uhr. Der schmale Goldstreifen um das Zifferblatt glänzte, als er von einem Lichtstrahl getroffen wurde.
Draußen lag längst die Dunkelheit über Paris. Tausende von Lichtern glühten. Davon sah Tanith nichts, obwohl ihr kleines Haus an der höchsten Stelle des Künstlerviertels Montmartre stand. Sie wollte auch nichts sehen, sondern sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren.
Als sie
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