0203 - Blizzard über New York
Lichtschein, wohl von einer Kerze oder einer schwachen Taschenlampe, durch den Hausgang herankommen sah. Eine männliche Stimme fragte hinter der Tür: »Wer ist draußen, bitte?«
Brig war verdutzt.
Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet, sondern vielmehr sich auf die sprichwörtlich unbekümmerte, wenn nicht sogar einfältige Gastfreundschaft der Amerikaner verlassen und gehofft, der Hausbesitzer würde ihm auf sein drängendes Klopfen hin unverzüglich öffnen.
Den Eintritt ins Haus hätte er sich dann notfalls mit der Waffe erzwungen.
Nun aber zeigten sich die Kenseys überraschend vorsichtig, überraschend natürlich nur für den Gangster, der bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nichts wusste von den Suchmeldungen und Warnungen, die seinetwegen alle halbe Stunde im Rundfunk und im Fernsehen durchgegeben worden waren; auf den Bildschirmen hatten Millionen von Amerikanern sogar seinen Kopf mit den charakteristischen kantigen Gesichtszügen sehen können.
Brig war jedoch ein Gangster von blitzschnellen Entschlüssen und unerschöpflichen Einfällen. Fast augenblicklich hatte er sich auf die veränderte Lage eingestellt. Er antwortete unter gekünsteltem Husten: »Ich bin John Hopkins von der Firma Hopkins & Co., Lebensmittelgroßhandlung.«
Diesen Namen hatte er in Leuchtbuchstaben irgendwo in der Nähe des Bahnhofs gelesen.
»Ich musste noch dringend Waren ausfahren und bin hier ganz in der Nähe im Schnee stecken geblieben. Ich komme aus eigener Kraft nicht mehr raus. Vielleicht können Sie mir helfen.«
Der Mann hinter der Tür schien noch mehr als vorsichtig zu sein. Er erwiderte nämlich: »Das machen wir ganz einfach. Ich werden für Sie nach einem Abschleppwagen telefonieren. Sagen Sie mir nur, was Sie für einen Wagen haben, damit ich mich gleich an die zuständige Garage wenden kann.«
Mr. Kensey war offensichtlich nicht nur vorsichtig, er war auch schlau. Seine wohldurchdachte Frage war für den Gangster noch fataler als die erste.
Gab Brig nämlich einen falschen Autotyp an, dann würde Kensey, der sicherlich die genannte Firma und deren Wagen kannte, Verdacht schöpfen, die Tür keinen Fingerbreit öffnen und womöglich sogar die Polizei alarmieren.
Trotz der Kälte begann Brig zu schwitzen. Den verlockenden Gedanken, sich einfach den Weg ins Haus freizuschießen, verwarf er sofort, da das Haus zwar einsam, aber doch nicht so abgelegen war, um unbemerkt herumballern zu können.
Da erinnerte er sich, vor dem riesigen Lebensmittelgeschäft im Schnee die Umrisse eines Dodge-Lieferwagens gesehen zu haben, und wenn er sich nicht sehr täuschte, war auch noch Hopkins & Co. darauf geschrieben.
Er antwortete ungehalten: »Selbstverständlich bin ich mit unserem Dodge unterwegs. Rufen Sie also bitte die Dodge-Garage an. Lassen Sie mich aber in der Zwischenzeit wenigstens in Ihrem Hausgang stehen. Hier draußen holt man sich ja den Tod vor Kälte.«
Mr. Kensey schien mit dem frierenden Geschäftsmann vor seiner Haustür wenig Mitleid zu haben. Auch ein anhaltender Hustenanfall, den Brig gekonnt mimte, beeindruckte ihn gar nicht. Er knurrte: »Ihr Dodge gehört eigentlich schon längst auf den Schrottplatz. Wenn Sie sich endlich einen neuen Wagen zulegen würden, und zwar einen Pontiac Tempest, dann würden Sie nicht mehr stecken bleiben, auch nicht im Schnee!«
Brig hörte aus diesen Worten sofort heraus, dass Kensey Autoverkäufer bei der Pontiac-Vertretung in Peekskill war und überlegte auch schon, wie er sich diesen Umstand zu nutzen machen könne. Kensey, dessen Misstrauen immer noch nicht zerstreut war, hatte sich jedoch eine weitere Fangfrage ausgedacht: »Mr. Hopkins, wir haben in Peekskill ja mehrere Dodge-Garagen. Welche davon soll ich nun anrufen? Doch am besten die, bei der Sie Ihren alten Wagen auch sonst betreuen lassen. Welche ist das?«
Der widerspenstige Kensey ging mit seinen Fragen dem Gangster ganz erheblich auf die Nerven. Selbstverständlich kannte Brig keine der Dodge-Vertretungen in Peekskill, und schon gar nicht diejenige, die für den Wagen der Firma Hopkins zuständig war. Er wollte schon antworten, dass es doch am schnellsten ginge, wenn man das Abschleppfahrzeug bei der nächstgelegenen Dodge-Garage anfordere. Da fiel ihm noch rechtzeitig ein, dass es vielleicht nur eine einzige Dodge-Vertretung in der Stadt gab, und dass der gerissene Autoverkäufer ihn bloß auf die Probe zu stellen versuchte.
Aber Brigs Intelligenz war diesem Amateur-Kreuzverhör ohne Weiteres
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