0203 - Die Geisterfrau
was diese Angelegenheit angeht, wenngleich ich mir auch nur schlecht vorstellen kann, daß das Blut in der Weinflasche ein Gauklertrick gewesen sein soll. Aber… Ich verstehe es einfach nicht.«
»Ich fühlte etwas«, gestand Zamorra. »In dem Augenblick, als wir uns zutranken, muß die Umwandlung geschehen sein. Ich konnte die Wirkung magischer Kraft fühlen, aber nur ganz kurz, und danach war es wieder verschwunden. Ich konnte es bis jetzt nicht wieder aufspüren.«
»Ich wäre froh, wenn wir über ein Gespenst verfügten«, sagte Sir Winston bedächtig. »Wissen Sie, jedes dahergelaufene Schloß prahlt mit seinen kopflos wandernden Ahnen und der Weißen Frau. Bloß hier hat das nie geklappt, und keiner weiß, aus welchem Grund. Dabei würde es ein wenig Abwechslung ins Haus bringen.«
»Es hat also wirklich niemals Spukerscheinungen hier gegeben?«
Sir Winston schüttelte stumm den Kopf, und Zamorra, der in diesem Moment über das Amulett seine Gedanken las, wußte, daß Sir Winston nicht log. Dem Lord war wirklich nichts über derlei Phänomene bekannt.
»Das«, murmelte Zamorra, »verstehe wiederum ich nicht. Bill Fleming unterrichtete mich, daß er ständig von Spukerscheinungen belästigt werde, und als dies gestern sogar am hellen Tag geschah, bat er uns, zu kommen und dem Spuk zu Leibe zu rücken.«
»Ich glaube Ihnen«, sagte Sir Winston. »Und ich möchte Sie bitten, sich bis auf weiteres als meine Gäste zu fühlen und Ihrer Tätigkeit nachzugehen. Das geschieht natürlich auch nicht ganz uneigennützig, wie Sie verstehen werden.«
Nicole lachte auf und schlug die langen, berollschuhten Beine übereinander. Sir Winston hob die Brauen.
»Nun«, bemerkte er lächelnd, »ich kann nicht leugnen, daß ich weiblicher Schönheit, die sich mir so reizvoll zeigt, nicht abgeneigt bin, denn meine Frau achtet sehr darauf, daß ich nicht sonderlich abgelenkt werde. Es ist lange her, daß eine so hübsche Dame in diesen Mauern weilte… Wenn Sie sich auch ein wenig, hm, progressiv kleiden. Aber das liegt wohl in der Art der heutigen Jugend.«
»Sie sind ein Schatz, Mylord«, strahlte Nicole ihn an. »Wissen Sie, daß ich Sie mag? Sie sind nämlich wenigstens ehrlich.«
»Ahm«, räusperte sich Zamorra neben ihr. »Vergiß nicht, auf wessen Gehaltsliste du stehst.«
»Ach, ich denke, Sir Winston würde mir gern eine Anstellung geben. Nicht wahr, Mylord?«
Sir Winston hüstelte.
»Das wird Mylady nachhaltig verhindern«, vermutete Zamorra.
»Es gibt da noch einen Grund«, fuhr Winston Pendrake fort. »Sollten Sie das Gespenst aufspüren – bitte, vertreiben Sie es nicht. Ich sehne mich förmlich nach so einem Wesen. Versuchen Sie, es zu zähmen, wenn es sich ermöglichen läßt! Pendrake Castle braucht ein Gespenst.«
Zamorra starrte den alten Lord sprachlos an.
Versuchen Sie, das Gespenst zu zähmen!
Sir Winston schien nicht nur einen Spleen zu haben, sondern gleich deren mehrere.
***
Eine Stunde später wagte Lady Beatrice es, am Verstand ihres Göttergatten zu zweifeln.
»Winston, du mußt verrückt geworden sein! Wie kommst du dazu, diesen hergelaufenen Geisterseher und diese Schlampe zu längerem Verbleib aufzufordern? Schau sie dir doch an, wie sie herumläuft! Sie hat dir wohl den Kopf verdreht, wie?«
Sir Winston geruhte, in aller Gemächlichkeit sein Pfeifchen zu stopfen und in Brand zu setzen.
»Diese Mademoiselle Duval ist eine äußerst kultivierte junge Dame«, sagte er dann langsam. »Ich hatte das Vergnügen festzustellen, daß ihr etwas unkonventionelles Auftreten und ihr vorlautes Mundwerk nicht mehr als eine zugegebenermaßen brillante Show sind. Ich glaube, sie bezweckt etwas ganz Bestimmtes damit.«
»Ja«, fauchte Lady Beatrice erbost. »Dich verrückt zu machen, alter Mann.«
Der Lord ließ die Beleidigung an sich vorbeifliegen, ohne sich den Schuh anzuziehen. »Sie ist eine hervorragende Psychologin, meine Liebe. Ich weiß zwar noch nicht, warum sie das tut, aber sie will tatsächlich jemanden verrückt machen. Aber nicht mich.«
»Wen dann etwa?« zischte die Lady.
Sir Winston sog an seiner Pfeife.
»Dich«, sagte er dann trocken.
***
»Wenn ich dich nicht hätte«, brummte Professor Zamorra zur gleichen Zeit sarkastisch. Nicole und er waren allein in der Bibliothek zurückgeblieben, während Lord Pendrake sie verlassen hatte.
»Dann hätte dich Mylady glatt rausgeschmissen, nicht wahr?« stellte Nicole respektlos fest. »Aber die richtige Frage im richtigen
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